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Revista Do Samba: Outras Bossas: Release-Informationen
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VÖ: 21.06.2005
EAN/UPC: 705304586624
Traumton CD: 4482
Outras Bossas
Welche Klischees hat der Samba nicht über sich ergehen lassen müssen!
Für deutsche Brasilien-Touristen verbinden sich mit den "heißen
Rhythmen" die gymnastischen Übungen der textilarmen Mulattinnen, die
beim Karneval auf den gigantischen Prozessions-Wagen posieren. Wahlweise wird
dann aber auch gerne auf das Bild vom wehmütigen Favela-Sänger zurückgegriffen,
der Liebesleid und Lebensschmerz zur Gitarre intoniert. Und für die Amerikaner
war der Samba schon in den 1940ern untrennbar mit der Diva Carmen Miranda verbunden,
die mit polternder Bigband und reichlich affektierter Show ein verzerrtes Bild
von Rio nach Kalifornien brachte. Also, was ist der Samba nun wirklich? Klangkulisse
für den Tanz brauner Schönheiten, exotische Ingredienz für Hollywood-Glamour
oder bittersüßes Lied aus dem Hinterhof?
Nur drei Musiker braucht es, um mit derlei Vorurteilen aufzuräumen und
zur Essenz des Genre vorzudringen - kaum vorstellbar. Wenn es sich allerdings
um so ausgewiesene Koryphäen handelt, wie die Dame und die zwei Herren
von Revista Do Samba, dann können die versammelten Kritiker und das Publikum
nur den Hut ziehen.
Nichts anderes konnte man beobachten, als das Trio aus São Paulo im
Jahre 2002 seine erste Scheibe herausbrachte. "Wie der erste Frühlingshauch
nach einem langen Winter", beschrieben die Nürnberger Nachrichten
ihre Lieder. "Enthusiasten ohne Pomp und Tamtam" machten die Brasilien-Spezialisten
von www.novacultura.de aus, und Jazz thing fand die Anziehungskraft der drei
Paulistas im "Lächeln der Nostalgie". Eine klare und frische,
aber doch sinnliche und ergreifende Rundschau über vier Dekaden Samba-Klassiker
bot das Debüt, poetische Leichtigkeit und luftige Arrangements mit Gitarre,
Ukulele, Perkussion ersetzten den Bombast des Karnevals, aber auch die lamentierende
Erdschwere.
Und nun lüften wir das Geheimnis - wer steckt hinter der Wurzelkur für
Brasiliens altehrwürdiges Genre? Da wäre die charismatische Sängerin,
Schauspielerin und Komponistin Leticia Coura, die seit mehr als 15 Jahren internationale
Bühnenerfahrung besitzt. Von Tourneen durch etliche Länder Europas
(darunter ein Auftritt beim Jazzfestival Montreux), über eine Adaption
von Boris Vian-Songs bis hin zu einem prämierten Soundtrack reicht ihr
künstlerisches Spektrum. Gitarrist und Komponist Beto Bianchi arbeitet
in der Heimat und Europa als Bühnenmusiker und Produzent für Ambient-
und Multimedia-Projekte, außerdem hat er sich als profunder Kenner brasilianischer
Volksmusikstile erwiesen. Vitor Da Trindade schließlich hat durch seine
Initiation in Brasiliens Candomblé-Religion einen starken spirituellen
Background. Er studierte Musikpädagogik, Gitarre und Perkussion, lehrt
heute auf vielen Festivals und in Workshops afro-brasilianischen Tanz und Perkussion
und fühlt sich auch im Theater zuhause.
Nun wagen die drei vielbeschlagenen Musiker für Traumton Records einen
weiteren gewitzten Schritt aufs neugestaltete Samba-Parkett. Der Titel "Outras
Bossas", der klingt ja zuerst mal gar nicht nach Samba. Eher nach den
berühmten Grooves, die unter dem Prädikat "Bossa Nova" den
Samba in den 1950ern aufs Abstellgleis verbannten, oder? In Wahrheit tauchen
die "Revistas" damit tief in die Samba-Historie hinab: 1932 war es,
als der spleenige Poet Noel Rosa, geschätzt für seine brillante Beobachtungsgabe
und sozialkritische Schärfe, in seinem Titel "Coisas Nossas" folgende
Zeile dichtete: "Der Samba, leere Taschen und 'andere Beulen' (outras
bossas), das sind unsere Spezialitäten." Angeregt worden war Rosa
zu dieser Vokabel durch sein kurzes Medizinstudium. Dort hatte er erfahren,
dass die Herren Doktoren in früheren Zeiten eine gewisse beulenartige
Stelle am Schädelknochen (auf Portugiesisch "bossa", auf Deutsch
der im Volksmund so schön titulierte "musikalische Hinterkopf"!)
für das künstlerische Talent einer Person verantwortlich machten.
Mit seiner berühmten Zeile fing Noel Rosa nicht nur das Bohème-Leben
seiner Artgenossen ein, sondern verursachte auch, dass fortan das Wörtchen "bossa" auf
die Launen kreativer Musiker angewandt wurde, wenn die mit unorthodoxer Sing-
und Spielweise sowie genialen neuen Eingebungen auffielen.
Es könnte keinen treffenderen Titel für die zweite CD von Revista
Do Samba geben. Denn mit genau jenem kecken Esprit der frühen Noel Rosa-Epoche,
gleichzeitig funkensprühend vor außergewöhnlichen neuen Ideen
präsentiert sich der Parcours über 13 Titel brasilianischer Musikgeschichte.
Das Spektrum ist nun gar auf acht Jahrzehnte gespreizt, zeigt den Samba von
seiner patinabesetzten Seite genau wie von der hochaktuellen. Wie ein roter
Faden zieht sich die lyrische Finesse fernab der sonst so üblichen Plattitüden
des heutigen Kommerz-Sambas. Der eben zitierte Noel Rosa und einige Zeitgenossen
verkörpern die aufmüpfige und stichelnde Lyrik der 1930er, der rasante
Chôro "Tico Tico" führt zurück in die Tage des Samba-Vorläufers,
und mit einer melancholischen Perle der Legende Cartola komm der Samba von
den Hügeln, aus den Favelas, zum Zuge. Aber auch moderne Auseinandersetzungen
mit der Gattung sind anzutreffen. Ein liebenswerter Urwald erwacht im "Samba
Dos Animais" von Jorge Mautner, und der einstige Rock-Avantgardist und
Wortkünstler Arnaldo Antunes, derzeit mit Carlinhos Brown und Marisa Monte
als Tribalistas erfolgreich, steuert eine sprachspielerische Widmung an eine
Tänzerin bei. Und nicht zuletzt kann auch Leticia Coura ihr Kompositionstalent
in zwei "Neo-Sambas" ausreizen.
Alle Titel zeichnet eine feinnerviges Musizieren auf Gitarre, Cavaquinho (Ukulele)
und einem ganzen Arsenal von Schlagwerk aus, leutselige und verschmitzte Vokal-
und Chor-Arbeit bringt die Lyrik zur Geltung, ab und an bereichert man die
Arrangements durch launiges Hereinposaunen oder ein Xylophon. In der Perkussionsabteilung
blitzt auch mal Prominenz mit Dudu Tucci hervor. Produziert wurde das Werk
wiederum im Traumton Studio Berlin von Wolfgang Loos, der sich u.a. Cello spielend
in dem wunderbaren Cartola-Stück auch selbst beteiligt.
"
Der Samba erfordert Ungezwungenheit, und du musst wissen, er ist das Gebet
des kleinen Mannes", heißt es in einem Lied vom Klassiker Laurindo
De Almeida. Diese schöne Zeile könnte auch als Motto über der
Musik von Revista Do Samba prangen.
Anspieltipps:
- "A Chuva" (2): Das Stück aus Leticia Couras Feder macht die
hektische Atmosphäre des modernen Rios tragikomisch greifbar. Die Dichterin
beklagt sich über den Verlust von Identität und materiellen Gütern,
wünscht sich drei Tage Regen um ihre Seele reinzuwaschen - das alles zum
funky Soundtrack von Ukulele, Posaune und dem Bindfadenregen der Perkussion.
- "O Horóscopo" (5): Eine reizende Miniatur mit swingendem
Cavaquinho, die ganz im Stile der Samba-Poeten von Liebesglück erzählt,
das genauso schnell kommt wie verblüht. Schuld ist diesmal das Horoskop,
das falsche Voraussagen getroffen hat.
- "Samba Dos Animais" (11): In diesem Szenario des Songschreibers
Jorge Mautner erzählt gleich eine ganze Arche Noah lautmalerisch von den
Zeiten, als der Mensch sich noch mit den Tieren verständigen konnte.
©
Traumton Records, Abdruck honorarfrei, Belegexemplar erbeten
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