Release September 30, 2016
EAN/UPC: 705304463420
Traumton CD: 4634
Lineup
Clara Haberkamp: piano, vocals Dan Peter Sundland: e-bass Tilo Weber: drums
Music and lyrics by Clara Haberkamp, except # 5 lyrics by Walt Whitman
Published by Traumton Musikverlag, except lyrics of # 5
Recorded and mixed by Martin Offik at Traumton Studios, Berlin
Mastered by Wolfgang Loos
Info / Info english
Clara Haberkamp – Orange Blossom
Die Musik und das Leben. Kunst, egal in welchem Gewand, ist immer dann am authentischsten, wenn sie das Leben abbildet. Nicht nur einen bestimmten Aspekt des Lebens, sondern das Leben in seiner ebenso verführerischen wie erbarmungslosen und nicht zuletzt oft paradoxen Vielfalt. Die junge Berliner Pianistin Clara Haberkamp lebt. Das klingt so simpel und banal, dass es hier eigentlich überhaupt nicht erwähnt werden sollte. Aber für Clara Haberkamp gibt es keine Trennung zwischen ihrem Leben und der Musik. Sie postuliert nicht das sprichwörtliche Leben für die Musik und musiziert nicht um ihr Leben, sondern Leben und Musik – das macht die neue CD deutlich – sind bei ihr schlichtweg eins.
Clara Haberkamp ist noch nicht lange auf der Szene. Obwohl sie sich in den letzten Jahren mit ihrem Trio schon einen klangvollen Namen erspielt hat, ist es nicht falsch, sie der jüngsten Generation deutscher und europäischer Jazzmusiker zuzurechnen. Das Wort Nachwuchs wäre trotzdem völlig fehl am Platze, denn dazu hat sie sich einfach eine viel zu autarke, unverwechselbare Sprache als Pianistin und Sängerin, aber auch als Bandleaderin und Komponistin angeeignet. In jedem Stück, das sie schreibt und interpretiert, findet sie eine ganz klare Antwort auf die Frage, was der jeweilige Song braucht. Wie eine Zimmerpflanze, die nicht nur Licht, Wasser und Dünger benötigt, um zu wachsen, sondern die auch im Raum und inmitten der anderen Pflanzen richtig platziert werden will, um zur Geltung zu kommen, wird jeder Song von ihr mit allem ausgestattet, was ihn für sich, aber auch auf dem Album zwischen den anderen Songs zu einem unverwechselbaren Erlebnis macht.
Für die junge Pianistin ist Leben nicht einfach nur ein Synonym für Lebendigkeit. Sie konfrontiert sich unablässig mit sich selbst und gewährt – auf „Orange Blossom“ noch viel konsequenter als auf ihren bisherigen CDs – allen Aspekten des Lebens Zugang zu ihrer Klangwelt. Statt auf ihrer CD dem berühmten roten Faden oder einem Konzept zu folgen, dessen Parameter meist schon vom ersten Ton an vorgegeben sind, baut sie auf die Logik des Alltags, die sich jeder Kalkulierbarkeit entzieht. Sie kann selbst innerhalb eines Songs extrem entgegengesetzte Positionen einnehmen, ohne dass sich daraus ein Widerspruch ergeben würde, und bezieht den Hörer mit beeindruckender Schonungslosigkeit in diese Erfahrung ein. Da gibt es die leichten, hoffnungsfrohen Momente, die sich einfach nur entfalten, ohne hinterfragt werden zu müssen. Da gibt es auch zaghafte und ängstliche Zustände, die nachdenklich und in sich verschränkt sind; Hürden, die sich nur aufbauen, um sich gemäß dem Energieerhaltungssatz selbst wieder auf dem Weg zu räumen. Und es gibt Augenblicke von brutaler Direktheit, die meist völlig unangekündigt über den Hörer hereinbrechen.
Clara Haberkamp hat nicht nur jedes der Stücke geschrieben – einzig der Text zu „Orchestra“ geht auf Walt Whitman zurück – , sie breitet sich auch mit der ganzen Kraft ihrer Imagination in der Musik aus. Trotzdem ist „Orange Blossom“ kein Soloalbum, sondern eine Trioplatte. Mit Drummer Tilo Weber verbindet sie seit langem eine enge musikalische Partnerschaft. Seine unaufdringlichen Drum-Teppiche tragen das Spiel der Pianistin, auf dass sie sich in jede nur denkbare Richtung tasten kann und unbekannte Räume erschließen kann. Weber hat die seltene Gabe, auch dann sehr vehement zu sein, wenn man ihn gar nicht hört. Er baut unsichtbare Brücken, schafft Spannung durch Weglassen, pointiert durch geschmackvolle Untertreibung. Der Neue im Bund ist Bassist Dan Peter Sundland, dessen E-Bass nicht selten wie ein akustischer Bass wirkt. Er schnellt nach vorn, um sich im nächsten Augenblick wieder komplett zurückzunehmen, setzt überraschende Kontrapunkte.
Überhaupt scheint Kontrapunkt die Überschrift zu sein, unter der das ganze Album steht. Nicht nur der musikalische Kontrapunkt, der natürlich auch bedient wird, sondern der Kontrapunkt des Lebens. Clara Haberkamp geht voll ins Risiko, tritt mit beiden Beinen fest auf, um sich einen Song später bewusst für das ganz dünne Eis zu entscheiden. Improvisation ist für sie unverzichtbar, nicht nur in Intros, kollektivem Freispiel oder solistischen Exkursen, sondern vor allem in der spontanen Gestaltung jeder Nuance.
Mehr denn je rückt bei Clara Haberkamp auf „Orange Blossom“ der Gesang in den Vordergrund, und auch hier schlägt sie sehr unterschiedliche Töne an. Ihre Stimme kann verträumt in der Melodie verweilen, aber auch kraftvoll in die Offensive gehen. Mal ist sie Wurzel oder Stamm, aber oft genug Blatt oder Blüte, und manchmal eben auch das Insekt, das den Pollen weiterträgt. Mehr noch als der Anschlag auf dem Klavier erstreckt sich der vokale Augenblick zwischen Erinnerung und Ahnung. Die Orangenblüte mag noch so schön sein, sie ist doch nur ein vorübergehendes Stadium zwischen Schöpfung und Vollendung. Was bleibt, ist die Erinnerung an die Pracht und am Ende die Erfüllung in der Frucht. Jedem Ton wird genug Zeit und Raum gegeben, zu entstehen und in sich zu verklingen. Clara Haberkamps ebenso souveräner wie poetischer Umgang mit der Vergänglichkeit des Augenblicks macht diese CD zu einem so starken und einmaligen Statement.
***
Clara Haberkamp – Orange Blossom (english)
Music and life. Art, no matter in which form, is always most authentic when it reflects life. Not only a certain aspect of life, but rather life with its enticing but equally merciless and often quite paradox diversity. The young Berlin based pianist Clara Haberkamp is alive. This sounds so basic and trivial, that it actually shouldn’t be mentioned here at all. But for Clara Haberkamp there is no separation between her life and music. She doesn’t postulate the proverbial “living for her music” and doesn’t play music to live, but life and music are simply one to her, and the new CD makes this very clear.
Clara Haberkamp hasn’t been on the scene very long. Although she has made an illustrious name for herself with her trio over the last years, it is not wrong to count her to the youngest generation of German and European jazz musicians. Nonetheless, the term “up-and-coming” would be entirely out of place: for that she has acquired a much too independent, distinctive voice as a pianist and singer, but also as a bandleader and composer. In every piece that she composes and interprets, she finds very clear answers to the question, what each particular song needs. Like a house plant that doesn’t only require light, water and fertilizer to grow, but should also be positioned correctly within the room and among the other plants to take full effect, she equips each song with everything that makes it an unmistakable experience in itself, but also among the other songs on the album.
For the young pianist, living is not just a synonym for vitality. She continually confronts herself and on Orange Blossom she grants all aspects of her life access to her world of sound, much more consequently than on her previous CDs. Instead of following a leading theme or some concept that predefines parameters from the first note on, she builds on the logic of everyday life, which defies all calculability. Even within one song she can take extremely contrary positions without a resulting contradiction and involves the listener in this experience with impressive ruthlessness. There are the light, hopeful moments, which just evolve without any question. There are also timid and fearful states, which are pensive and entangled in themselves, obstacles that build up, only to move themselves out of the way again as per law of conservation of energy. And there are flashes of brutal directness, which mostly befall the listener completely unannounced.
Clara Haberkamp didn’t only compose all the pieces (solely “Orchestra” is based on Walt Whitman), she also unfurls herself in the music with all the power of her imagination. Still, Orange Blossom is not a solo album but much rather a trio record. She has been in close musical partnership with drummer Tilo Weber for a long time. His unobtrusive drum soundscapes carry the playing of the pianist, so that she can grope her way into every imaginable direction and explore unknown territory. Weber has the rare gift of being very vehement even when you cannot hear him. He builds invisible bridges, creates suspense through omission and emphasizes through tasteful understatement. The new guy on board is bassist Dan Peter Sundland, whose electric bass quite often seems like an acoustic bass. He springs forward, just to withdraw himself again in the next instant and plays unexpected counterpoints.
Actually counterpoint seems to be the heading under which the whole album stands. Not only the musical counterpoint, which is also present of course, but also the counterpoint of life. Clara Haberkamp takes full risk, stands firm on both feet, and then again deliberately chooses the very thin ice a song later. Improvisation is indispensable to her, not only in intros, collective free playing or soloistic excursions, but first and foremost in the spontaneous shaping of every nuance.
More than ever before on a Clara Haberkamp album, the singing comes into the foreground on Orange Blossom and thereby she also embraces very diverse sounds. Her voice can linger dreamily on the melody, but can also vigorously take the offensive. Sometimes she is the root or the trunk, but often enough the leaf or blossom, and sometimes also the insect that carries and spreads the pollen. Even more so than the keystrokes of the piano, the vocal instant ranges between remembrance and foreboding. As beautiful as the orange blossom may be, it is only a temporary state between creation and completion. What remains is the memory of its splendor and in the end the fulfillment in the fruit. Every note is given enough time and space to emerge and to fade away in itself. Clara Haberkamp’s confident and equally poetic approach to perishability of the moment makes this CD such a strong and matchless statement.