Release May 20, 2022
EAN/UPC: 705304470527
Traumton CD: 4704
Lineup
Olga Reznichenko: piano, compositions Lorenz Heigenhuber: doublebass Maximilian Stadtfeld: drums
Supported by
All compositions by Olga Reznichenko
All compositions published by Traumton Musikverlag
Info / Info english
Olga Reznichenko Trio – Somnambule
Wer vom Albumtitel Somnambule auf eine durchweg ruhige, traumverlorene Musik schließt, wird hier öfter mal überrascht. Den Namen des Albums meint Olga Reznichenko nämlich nicht wörtlich, sondern assoziativ. „Es geht nicht direkt ums Schlafwandeln, sondern um unterschiedliche Nacht-Zustände. Dazu gehörten auch halb-bewusste Phasen, in denen meine Gedanken nicht zur Ruhe kommen oder Melodien nachklingen, die ich vorher gespielt habe.“
Der Aufmacher Liquid Salt Sleeps Lost erscheint mit seinen harmonischen Momenten tatsächlich recht lyrisch, doch blitzt zwischen der Nuanciertheit bereits das Energiepotential des Trios auf. Das folgende Restless Stone Stops Motion beginnt ebenfalls poetisch, aber schon im melodischen Hauptmotiv fließen Olga Reznichenkos Klaviertöne etwas schneller, verwirbelt Maximilian Stadtfeld die Takte um einiges dynamischer. Seine individuellen Akzente beflügeln die Improvisationen der Pianistin. Während sie mit einer bemerkenswerten Balance aus Eleganz und Entschlossenheit immer weiter ausgreift, schwingt sich auch Bassist Lorenz Heigenhuber zu einfallsreichen, anspornenden Linien auf. Nach gut vier Minuten und einer kurzen Phase der Kontemplation nimmt das Geschehen eine unvorhersehbare Wendung. Plötzlich dominieren repetitive Figuren, die Reznichenko immer kraftvoller kreiseln und tänzeln lässt und dabei einen eigenen Ausdruck zwischen klassischem Minimalismus und Nik Bärtschs Zen-Grooves findet.
Es kommt nicht so häufig vor, dass ein Debütalbum nach den ersten beiden Tracks und rund 16 Minuten Laufzeit dermaßen beeindruckt. Die Tiefe in Reznichenkos Spiel, das Oszillieren von Klangfarben und stilistischen Einflüssen, der zuweilen singende Ton und die rhythmische Detailschärfe von Bassist Heigenhuber sowie Stadtfelds souveräner, mal klangvoller, mal eruptiver Umgang mit dem Schlagzeug kreieren einen besonderen Sound und verleihen Somnambule seine spezielle Aura. Während Still, From Below Found wieder etwas ruhiger bleibt und dabei subtile Suggestionskraft entwickelt, beeindruckt One Hit Backlash durch beherzte, fast schon nervöse und auch ziemlich freie Expressivität, ohne dass die Band die Form komplett auflöst. In der Einleitung von Ground Most Must Take streicht Heigenhuber leicht quietschende Töne, später steigert die Band ein weiteres Mal die Intensität durch gezielte Verdichtung. Final Mirrors Facing Flames verblüfft mit rhythmischer Finesse sowie perlenden Klavierkaskaden, die auf Reznichenkos Faible für russische (Spät-)Romantik à la Prokofjew, Mussorgsky, Skrjabin verweisen. Schließlich klingt All, After Nothing Left mit mysteriösen Harmonien und Schwelldynamik wie neue Musik zu einem alten Film von Roman Polanski.
Beim Komponieren verfolgt Olga Reznichenko einen eher intuitiven als konzeptionellen Ansatz. Ihre Stücke basieren auf Improvisationen, die sie für sich alleine spielt und aufnimmt. In der Folge destilliert sie nach und nach die Essenz ihrer Einfälle heraus. Erst dann bekommen ihre Begleiter die Noten zu sehen: „Ich bringe zu unseren Proben etwas mit, das mir 100% Spaß macht und das schon recht präzise ausgearbeitet ist.“ Trotzdem sei sie offen für Ideen, die Stadtfeld und Heigenhuber einbringen. Die Ursprünge der Stücke von Somnambule reichen zurück bis 2018. „Damals hatte ich die Idee, Musik und gelesene Erzählungen zu verbinden und dafür einen Freund gefragt, ob er etwas schreiben könnte“, sagt Olga Reznichenko. „Daraufhin hat er einen Traum in acht Episoden unterteilt und mir den Inhalt dieser Episoden erzählt, dazu habe ich acht Kompositionen geschrieben. Die von ihm erdachten Überschriften für die acht Kapitel wurden die Titel der Stücke und die Musik ist die Erzählung.“
Seitdem hat sie immer wieder an Details gefeilt, oft auch nach Konzerten. Vor dem Aufnahmetermin am 7. Dezember 2020 lagen einige Auftritte, entsprechend hellwach war die Band im Kölner Loft-Studio, was sich nun als intuitives Einverständnis in wendigen Interaktionen zeigt. Den konzentrierten Aufnahmen tagsüber folgte am Abend ein Streaming-Konzert am gleichen Ort. „Ich fühlte mich zwar nicht mehr ganz so frisch, trotzdem konnten wir beim Gig eine so starke gemeinsame Energie entwickeln, dass vieles davon tatsächlich auf die Platte gekommen ist“, freut sich Reznichenko über die Magie des Moments.
In der Hafenstadt Taganrog an der Mündung des Don ins Asowsche Meer wurde Olga Reznichenko 1989 geboren. Angespornt von ihrer musikalische Mutter und Großmutter erhielt sie ab acht Jahren Klavierunterricht. Jazzkonzerte in der Schule lösten bei Reznichenko eine Leidenschaft für Jazz aus und sie begann heimlich, gegen den Willen der Eltern, mit Musikern aus diesem Genre zu spielen. Zunächst studierte sie an der Hochschule in Rostow am Don, 2012 zog Reznichenko nach Leipzig, wo sie zwei Jahre bei Richie Beirach, dann bei dessen Nachfolger Michael Wollny studierte. Besonders Letzterer hat ihr Spiel erkennbar inspiriert. 2018 absolvierte sie ihren Bachelor, im Sommer 2022 wird sie ihren Jazzpiano-Master abschließen.
Mit ihrer Band Ylativ Algo gewann Olga Reznichenko beim 40. Getxo International Jazz Festival 2014 den 1. Preis, 2017 erreichte sie im Duo Sofia & Olga bei den Sparda-Jazz-Awards im Rahmen der Jazz-Rally Düsseldorf Platz 2. Im gleichen Jahr veröffentlichten die beiden Musikerinnen ihr Debütalbum Shells in Motion. 2018 spielte Reznichenko bei den Leipziger Jazztagen in der Matthew Herbert Brexit Big Band. Ferner ist sie Mitglied bei BREU mit Maximilian Breu, Andreas Dombert und Andreas Lang sowie bei A Word Is A Swallow mit Theresia Philipp, Robert Lucaciu, Philipp Scholz. 2021 wurde Reznichenko Mitglied des Ensembles Spielvereinigung Süd. Seit 2021 gehört sie zum Programmkuratorium der Leipziger Jazztage und zum Organisationsteam des Mjuzik Festivals in Leipzig.
Ihr aktuelles Trio gründete Olga Reznichenko für ihr Bachelor-Abschlusskonzert an der Leipziger Hochschule. Das in der Folge entstandene Repertoire feierte im Rahmen eines Drei-Abende-Engagements im Hot Club in Lissabon öffentliche Premiere. Parallel dazu wurden Max Stadtfeld und Lorenz Heigenhuber im Trio mit dem Vibraphonisten Volker Heugen mit dem Nachwuchspreis der Stadt Leipzig 2019 ausgezeichnet. Anfang desselben Jahres erhielt Stadtfeld seinen internationalen „Ritterschlag“ als Drummer des Live-Projekts Bau.Haus.Klang von Michael Wollny (mit Émile Parisien u.a.), das bei der Eröffnung des Bauhaus-Festivals in der Berliner Akademie der Künste (mit Übertragung auf Arte-Live), beim London Jazz Fest und den Leipziger Jazztagen brillierte. Heigenhuber wiederum arbeitete mit u.a. Louis Sclavis, Enders Room und wurde für verschiedene Theaterproduktionen, darunter „Die Räuber“ (Theatertreffen Berlin 2017) engagiert.
„Ich bin nicht so ein analytischer Typ“, erklärt Olga Reznichenko vergnügt, „mir gefällt es, beim Spielen das Denken einfach loszulassen.“ Es ist die Mischung aus profunden Kenntnissen und klaren Vorstellungen, etwa zu Stimmungen und Klangfarben, die Reznichenkos Gestaltungswillen speist. Mit ihrer Band verbindet sie komplexe harmonische und rhythmische Strukturen, subtile und kraftvolle Momente sowie melodische Anknüpfungspunkte zu einer persönlichen Ästhetik, die Somnambule zu einem herausragenden Debütalbum macht.
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Olga Reznichenko Trio – Somnambule
Whoever expects only calm, dreamy music because of the album title, Somnambule, will be surprised. Olga Reznichenko does not take the name of the album so literally, but rather in an associative way. „It’s not directly about sleepwalking, but about different nocturnal states. These also included semi-conscious phases in which my thoughts don’t come to rest or melodies that I played before still reverberate.“
The opener “Liquid Salt Sleeps Lost” is indeed quite lyrical with its harmonic moments, but the trio’s energy potential already flashes up in between the finesse. The following “Restless Stone Stops Motion” also begins quite poetically, but already in the main melodic motif Olga Reznichenko’s piano notes flow a bit faster, and Maximilian Stadtfeld intertwines the beats more dynamically. His individual accents inspire the pianist’s improvisations. As she breaks out ever further with a remarkable balance of elegance and determination, bassist Lorenz Heigenhuber also soars into inventive, spurring lines. After a good four minutes and a brief phase of contemplation, the proceedings take an unexpected turn. Suddenly repetitive figures dominate and Reznichenko lets them spin and dance more and more powerfully, finding an own expression between classical minimalism and Nik Bärtsch’s Zen-Grooves.
It is rare that a debut album impresses this much after the first two tracks and some 16 minutes of running time. The depth in Reznichenko’s playing, the oscillating of timbres and stylistic influences, the singing tone and sharp rhythmic detail of bassist Heigenhuber as well as Stadtfeld’s masterful, sometimes melodious, sometimes eruptive style of drumming create a unique sound and give Somnambule its special aura. While “Still From Below Found” is a bit calmer again, developing subtle suggestiveness, “One Hit Backlash” impresses with spirited, almost nervous and also quite free expressivity, without the band ever completely breaking the form. In the introduction of “Ground Most Must Take” Heigenhuber bows lightly squeaking notes on his bass, later the band increases the intensity one more time with purposeful densification. “Final Mirrors Facing Flames” captivates with rhythmic finesse as well as rolling piano cascades, which point to Reznichenko’s liking for Russian (late) Romanticism à la Prokofiev, Mussorgsky or Scriabin. Finally, “All After Nothing Left” with its mysterious harmonies and swelling dynamics sounds like new music for an old film by Roman Polanski.
When composing, Olga Reznichenko follows an intuitive rather than conceptual approach. Her pieces are based on improvisations that she plays alone and records. She then gradually distills the essence of her ideas. And not until then she shows the music to her accompanists: „I bring material to our rehearsals that I enjoy 100% and that is already worked out quite precisely.“ Nonetheless, she is open to ideas that Stadtfeld and Heigenhuber bring in. The origins of Somnambule’s pieces date back to 2018. „Back then I had the idea of combining music and read narration, and I asked a friend if he could write something for that,“ Olga Reznichenko says. „Thereupon he divided a dream into eight episodes and told me the stories of these episodes, and I wrote eight compositions for them. The titles he came up with for the eight chapters became the names of the pieces, and the music is the narration.“
Since then, she has repeatedly refined details, often after concerts. There had been several shows before the recording date on December 7, 2020, thus the band was wide-awake in the Loft Studio in Cologne, which resulted in an intuitive understanding in their agile interactions. The concentrated recording during the day was followed by a streaming concert in the evening at the same location. „I wasn’t feeling quite so fresh anymore, yet still we were able to build such a strong shared energy at the gig that a lot of it actually made it onto the record,“ Reznichenko rejoices about the magic of the moment.
Olga Reznichenko was born in 1989 in the port city of Taganrog at the mouth of the Don River into the Sea of Azov. Encouraged by her musical mother and grandmother, she took piano lessons from the age of eight. Jazz concerts at school sparked Reznichenko’s passion for jazz and – against the will of her parents – she secretly began playing with musicians from this genre. Initially she studied at the conservatory in Rostov-on-Don, and in 2012 Reznichenko moved to Leipzig, where she studied with Richie Beirach for two years, then with his successor Michael Wollny. Especially the latter has recognizably inspired her playing. In 2018 she graduated with a bachelor’s degree, and in the summer of 2022 she will complete her master’s in jazz piano.
With her band Ylativ Algo, Olga Reznichenko won the 1st prize at the 40th Getxo International Jazz Festival in 2014, and in 2017 she placed 2nd with the duo Sofia & Olga at the Sparda Jazz Awards during the Jazz Rally Düsseldorf. In the same year, the two musicians released their debut album Shells in Motion. In 2018, Reznichenko played at the festival Leipziger Jazztage in the Matthew Herbert Brexit Big Band. She is also a member of BREU with Maximilian Breu, Andreas Dombert and Andreas Lang, and part of A Word Is A Swallow with Theresia Philipp, Robert Lucaciu, Philipp Scholz. In 2021 Reznichenko became a member of the ensemble Spielvereinigung Süd. Since 2021 she is a program curator for the Leipziger Jazztage and part of the organizing team of the Mjuzik Festival in Leipzig.
Olga Reznichenko founded her current trio for her final bachelor’s concert at the University of Music in Leipzig. The resulting repertoire celebrated its public premiere in a three-night engagement at the Hot Club in Lisbon. At the same time, Max Stadtfeld and Lorenz Heigenhuber, in a trio with vibraphonist Volker Heugen, were awarded the Newcomer Award of the City of Leipzig 2019. Earlier that year, Stadtfeld received his international „accolade“ as drummer of Michael Wollny’s live project Bau.Haus.Klang (with Émile Parisien and others), which excelled at the opening of the Bauhaus Festival at Berlin’s Akademie der Künste (with broadcast on Arte-Live), at the London Jazz Fest and the Leipziger Jazztage. Heigenhuber meanwhile worked with Louis Sclavis, Enders Room, and was engaged for various theater productions, including „Die Räuber“ [The Robbers] (Theatertreffen Berlin 2017).
„I’m not such an analytical type,“ Olga Reznichenko explains cheerfully, „I like to just let go of all thinking when I play.“ It is the mixture of profound knowledge and clear visions, of moods and timbres for instance, that feeds Reznichenko’s creative drive. With her band, she combines complex harmonic and rhythmic structures, delicate and powerful moments, and captivating melodies to a personal aesthetic that makes Somnambule an outstanding debut album.