Release June 03, 2022
EAN/UPC: 705304470725
Traumton CD: 4707
Lineup
Sebastian Sternal: piano
All compositions by Sebastian Sternal, published by Traumton Musikverlag, except “Embraceable You”
composed by George Gershwin, published by New World Music Company LTD
and “The Way You Look Tonight” composed by Jerome Kern, published by Universal Music Publishing GmbH
Produced by Sebastian Sternal and Stefanie Marcus Radio Producer: Odilo Clausnitzer
A co-production with Deutschlandfunk
℗ & © 2022 Deutschlandradio / Traumton Records
All tracks recorded on October 18-20, 2020
by Christian Heck and Michael Morawietz at Kammermusiksaal, Deutschlandfunk, Cologne
Assistant engineer: Oliver Dannert Mixed by Christian Heck
Mastered by Greg Calbi
Info / Info english
Sebastian Sternal – Thelonia
„Den Entschluss für ein Soloalbum hatte ich schon eine ganze Weile vor der Pandemie gefasst“, räumt Sebastian Sternal ein mögliches Missverständnis umgehend aus. Dass der vielfach ausgezeichnete (WDR-Jazzpreis, Neuer Deutscher Jazzpreis u.a.) Pianist und Komponist nach bald 20 Jahren Profi-Karriere nun sein erstes Solo-Werk vorstellt, mag manche überraschen. Hat er doch mit seiner großformatigen Symphonic Society auf zwei Alben (beide erhielten Jazz-Echos, Vol.2 auch den Jahrespreis der dt. Schallplattenkritik) u.a. durch die Kombination von Jazz-Oktett und Streichquartett äußerst erfolgreich Genregrenzen aufgelöst. Danach brillierte Sternal im dynamischen Trio mit dem amerikanischen Star-Bassisten Larry Grenadier und Jonas Burgwinkel – für das Album Home erhielt er 2018 seinen dritten Echo.
Eine Einspielung im Alleingang, mit dem Flügel als singulärem Gravitationszentrum, war für Sebastian Sternal eine logische Entwicklung, nach all seinen verschiedenen früheren Projekten. Zu denen auch noch unterschiedliche Duos zählen, etwa mit Frederik Köster. Bei der Umsetzung des Plans kamen die besonderen Umstände des Jahres 2020 nicht ganz ungelegen. „Der ersten Aufregung über Corona im März folgte die Phase, in der alle ruhig zuhause blieben“, erinnert er sich. „So ging es mir natürlich auch. Ohne Konzerte und Außentermine änderte sich mein Leben tiefgreifend. Also habe ich einige Wochen lang viel alleine am Klavier gesessen und intensiv gearbeitet.“ Zusätzlich angespornt durch einen bereits verabredeten Aufnahme-Termin im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks, begann er eine profunde „künstlerische Forschung“.
Das Ergebnis ist Thelonia, sein bislang intimstes Werk. „Ich spiele seit 32 Jahren Klavier, da erlebt man einiges“, sagt der 1983 geborene, inzwischen in Frankfurt ansässige Musiker. Die neue Produktion spiegelt viele Facetten von Sternals Kreativität der vergangenen Jahre und natürlich seine gesamte künstlerische Entwicklung. „So ein Soloalbum wäre vor fünf Jahren sicher noch ganz anders ausgefallen. Ich habe das Gefühl, dass meine Musik heute eine größere Selbstverständlichkeit hat. Damit meine ich gar nicht unbedingt das Material, die ‚Zutaten‘ meiner Musik, sondern eher, wie ich in der Improvisation damit umgehe. Ich erzähle inzwischen noch stringenter, was ich sagen will.“
Dabei spielt die Konzentration auf die eigenen Kräfte natürlich eine substantielle Rolle. „Alleine am Instrument zu sitzen ist viel fokussierter und führt außerdem zu einer anderen Emotionalität. Meine Beziehung zum Klavier als einem treuen Freund ist tief, auch wenn wir zwischendurch mal miteinander kämpfen. Unwillkürlich kommt mir dabei ins Bewusstsein, was am wichtigsten ist.“ Während des Komponierens habe er sich an Stücke aus der Vergangenheit erinnert, erzählt Sternal, manche davon gelangten letztlich sogar aufs Album. „Coffee Bay beispielsweise stammt von meiner ersten Trio-CD von 2007 und klingt heute natürlich sehr anders.“ Hier bedient sich Sternal (wie auch in Free) erweiterter Spieltechniken im Inneren des Flügels. Die Titel Prayer, Calgary und J.T. fanden sich schon mehrfach in früheren Repertoires, sie wurden ursprünglich für die Society oder für das Duo mit Köster geschrieben. Die große Mehrheit der Kompositionen auf Thelonia ist aber ganz neu.
„Ich nahm mir viel Zeit, um bestimmte Klangfarben und Spielweisen auszuprobieren, Varianten mit unterschiedlichen Basslinien und Akkorden auszuloten – und manches davon wieder zu verwerfen“, beschreibt Sternal den Entwicklungsprozess im Frühjahr 2020. Er komme der Essenz immer näher, indem er an manchen Stellen Verzicht übe, an anderen weiter gehe als früher. „Bei einer Solo-Produktion hat man die Freiheit, alleine zu entscheiden, wo es langgeht. Niemand zieht dich weg, wenn du mal etwas länger bei einem Motiv verweilen möchtest. Oder interveniert, wenn du eine bestimmte Stelle so belassen willst, wie sie ist, ohne zusätzlich noch etwas reinzupacken. Die einzigen Grenzen sind die meiner Phantasie, das habe ich versucht bewusst zu zelebrieren. Auch indem ich bei den Aufnahmen manche Stücke komplett improvisiert habe.“
Sternal bezeichnet sich selbst als Freund von Songformen, lyrischem Spiel und Anlehnungen an die klassische Romantik von Schumann, Brahms, Chopin. Andererseits verweist er auf sein nervös-sprunghaftes Birds, dessen Dissonanzen und offensive Expressivität in die entgegengesetzte Richtung gehen. „Ich mag auch offenere Strukturen und Brüche. Das habe ich bei meinem damaligen Professor John Taylor gelernt. Er verfügte über ein unglaubliches Gespür für die Verbindung von Schönheit und rätselhaften Brüchen.“
Schon das Aufmacherstück Arc spiegelt Sternals Idee wider, zuweilen subtile Rätsel aufzugeben. Auch Embraceable You bewegt sich vom eingängigen Leitmotiv in assoziative, geheimnisvolle Bereiche. „Es geht darum, Fragezeichen zu setzen, aber nicht immer die Antworten dafür zu liefern“, erklärt Sternal sein Konzept. Er flirtet mit kleinen Ungewissheiten, harmonischen Brechungen, dem Öffnen von Räumen für die Phantasie des Publikums. „Motive können zu Cliffhangern werden, zwischen manchen Stücken können Verbindungen entstehen, vieles ist durch das Album hindurch miteinander verwoben.“ Als weitere Inspirationsquellen neben Taylor und den klassischen Romantikern nennt Sternal französische Impressionisten (Debussy, Ravel) sowie den Geist von Ligeti, der besonders durch seine Improvisationen wehe.
Der Albumtitel Thelonia ist eine persönliche Widmung Sternals an seine Familie und natürlich auch eine Anspielung auf Thelonious Monk. „Ich bin großer Fan der Jazztradition, auch wenn sich das nur in sublimierter Form in meiner Musik spiegelt“, sagt Sternal. Die Umwandlung des Namens in die weibliche Form symbolisiert für ihn eine Öffnung, einen gedanklichen Brückenschlag von der Historie zur multi-dimensionalen Gegenwart. Es liegt nahe, dass Sternals Gestaltungswillen die beiden Standards des Albums, Gershwins Embraceable You und The Way You Look Tonight von Jerome Kern, ganz anders deutet als Monk oder Fats Waller. Zwar sieht sich Sternal auch in der Geschichte verwurzelt, gleichzeitig reflektiert sein Spiel Einflüsse aus vielen Richtungen – inklusive solchen, die nicht direkt erkennbar werden. „Ich habe in Paris zusammen mit Eve Risser studiert und finde ihre freie Spielweise sehr inspirierend. Auf der anderen Seite bin ich auch großer Fan der Elektro-Funkband Knower. Obwohl ich selbst ganz anders klinge bin ich davon überzeugt, dass solche Einflüsse ihren Weg in meine Musk finden, manchmal aber ganz indirekt.“ Wie vermutlich alle seines Fachs hat er sich mit Cecil Taylor und Art Tatum, Jarrett und Corea beschäftigt, aber eben auch mit Achim Kaufmann. Und so erscheinen all diese Auseinandersetzungen immer wieder als Wetterleuchten an einem sehr weiten Horizont.
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Sebastian Sternal – Thelonia (english)
“I had already made the decision to record a solo album quite a while before the pandemic,” Sebastian Sternal says, immediately dispelling a possible misunderstanding. The fact that the multi-award-winning (WDR Jazz Prize, New German Jazz Prize, etc.) pianist and composer is now presenting his first solo work after almost 20 years of professional career may come as a surprise to some. After all, on the two albums with his large Symphonic Society he successfully transcended genre boundaries (both received Jazz Echos, Vol. 2 also the annual prize of the German Record Critics) by combining a jazz octet and a string quartet. Sternal then performed brilliantly in a dynamic trio with the American star bassist Larry Grenadier and Jonas Burgwinkel – for the album Home he received his third Echo in 2018.
For Sebastian Sternal a solo recording, with the piano as the singular gravitational center, was a logical development after all of the different previous projects he had worked on. These also include various duos, for example with Frederik Köster. When it came to the point of realizing the plan, the particular circumstances of 2020 were not entirely inconvenient. “After the initial excitement about Corona in March, a phase followed in which everyone quietly stayed at home,” he recalls. “That’s what I was doing too, of course. Without concerts and dates outside, my life changed dramatically. So for a few weeks, I sat at the piano alone a lot and worked intensively.” Additionally spurred on by an already arranged recording date in the chamber music hall of Deutschlandfunk, he began profound artistic research.
The result is Thelonia, his most intimate work yet. “I’ve been playing the piano for 32 years, and you experience a lot,” the musician says, who was born in 1983 and now lives in Frankfurt. The new production reflects many facets of Sternal’s creativity of the past years, and of course his overall artistic development. “A solo album like this would certainly have turned out quite differently five years ago. I have the feeling that my music has a greater level of self-evidence now. With that I don’t necessarily mean the material, the ‘ingredients’ of my music, but rather how I use it in improvisation. I’ve become more stringent in telling what I want to say.”
Concentrating on one’s own strengths naturally plays a substantial role in this. “Sitting alone at the instrument is much more focused and also creates a different emotionality. My relationship with the piano as a loyal friend is deep, even if we fight with each other once in a while. Unintentionally, it brings to my consciousness what is most important.” While composing, he remembered pieces from the past, Sternal says, some of which even made it onto the album. “‘Coffee Bay’, for example, comes from my first trio CD in 2007 and of course sounds very different today.” Here, Sternal uses extended playing techniques inside the piano (just like in “Free”). The titles “Prayer”, “Calgary”, and “J.T.” have appeared multiple times in earlier repertoires and were originally written for the Society or for the duo with Köster. However, the vast majority of the compositions on Thelonia is entirely new.
“I took a lot of time to try out certain timbres and styles of playing, to explore variations with different bass lines and chords – and to discard some of it again,” Sternal says, describing the developing process in spring 2020. He is getting closer and closer to the essence by abstaining in some places and in others going further than before. “With a solo production, you have the freedom to decide by yourself where it goes. No one pulls you away when you want to stay with a motif just a little longer. Nor intervenes if you want to leave a certain passage the way it is, without adding in anything more. The only boundaries are those of my imagination, that’s what I’ve tried to consciously celebrate – also by completely improvising some pieces in the recording sessions.”
Sternal says of himself that he is drawn to song structures, lyrical playing and allusions to the Classical Romanticism of Schumann, Brahms, and Chopin. On the other hand, he points to his nervously jumpy “Birds”, in which dissonances and offensive expressivity go in the opposite direction. “I also like more open structures and disruptions. I learned this studying with my professor John Taylor back then. He had an incredible feeling for combining beauty with puzzling disruptions.”
Already the opening track “Arc” reflects Sternal’s idea of occasionally presenting subtle riddles. “Embraceable You” also moves from the catchy leitmotif into more associative, mysterious realms. “It’s all about raising question marks, but not always delivering the the answers to them,” Sternal explains about his concept. He flirts with little uncertainties, harmonic breaks, and opening up spaces for the audience’s imagination. “Motifs can become cliffhangers, connections can emerge between some pieces, and many things are interwoven throughout the album.” As further sources of inspiration besides Taylor and the Classical Romantics, Sternal names French Impressionists like Debussy and Ravel, as well as the spirit of Ligeti, which especially comes alive his improvisations.
The album title Thelonia is a personal dedication from Sternal to his family and of course also a reference to Thelonious Monk. “I’m a big fan of the jazz tradition, even if it’s only reflected in my music in sublimated form,” Sternal says. To him, the transformation of the name into the feminine form symbolizes an opening, a mental bridging from the historic to the multi-dimensional present. It goes without saying that Sternal’s creative will interprets the two jazz standards on the album, Gershwin’s “Embraceable You” and “The Way You Look Tonight” by Jerome Kern, quite differently than Monk or Fats Waller. While Sternal also sees himself rooted in the history, his playing reflects influences from many directions – including ones that don’t become apparent right away. “I studied with Eve Risser in Paris and find her free style of playing very inspiring. On the other hand, I’m also a big fan of the electro-funk band Knower. Although I sound completely different myself, I’m convinced that such influences find their way into my music, though sometimes in a very indirect way.” Like probably everyone of his trade, he has studied Cecil Taylor and Art Tatum, Jarrett and Corea, but also Achim Kaufmann. And thus all these encounters appear over and over again as flashes lighting up a very broad horizon.
When Sebastian Sternal presented excerpts of his new repertoire live as a preview in the fall of 2021, the FAZ noted: „The balance between airy, transparent passages and temporarily denser sections characterizes Sternal’s solo program just as much as his personal illumination of jazz and late Romantic influences. […] Rightfully, Sebastian Sternal is enthusiastically celebrated for his brilliant playing, his power of imagination and his creative will at the end of the show.“ It is precisely this expressiveness of Sternal that constitutes the distinctive character and intensity of Thelonia.