Release September 16, 2022
EAN/UPC: 705304470923
Traumton CD: 4709
Lineup
Johannes Dickbauer: violin, compositions Sebastian Schneider: piano Andreas Waelti: double bass András Dés: percussion
Info / Info english
J.D.Hive – Isn’t Dinner Lovely Tonight
Anders als in der klassischen Musik zählt die Violine im Jazz zu den eher seltenen Attraktionen, selbst wenn die großen Geigenvirtuosen der improvisierten Musik, von Grapelli über Ponty bis Didier Lockwood, auf ihre Art Meilensteine gesetzt haben. Johannes Dickbauer, Kopf und Namensgeber des neuen Quartetts J.D.HIVE, bewegt sich seit vielen Jahren in beiden Genres. Auf dem Hochseil zwischen Klassik und Jazz konnte er schon einige Erfolge feiern.
Beispielsweise mit dem radio.string.quartet.vienna. Das Ensemble machte beim Berliner Jazzfestival 2006 Furore, als es Stücke des Mahavishnu Orchestras interpretierte. Dessen Chef John McLaughlin zeigte sich in den Linernotes zum 2007 erschienenen Album begeistert, ebenso waren die Medien voll des Lobes. Gut drei Jahre und zwei weitere Produktionen später verließ Johannes Dickbauer das Quartett, um seine persönlichen Ideen als Komponist und Bandleader zu realisieren.
Seine jüngste Formation J.D.HIVE setzt dieses Ziel mit herausragender Eleganz und unprätentiöser Brillanz ins Werk. Das Überqueren von einst vermeintlich ehernen Stilgrenzen allein scheint heutzutage nicht mehr ungewöhnlich, doch das Niveau, auf dem sich der Stilmix bei J.D.HIVE bewegt, ragt weit heraus und kann als wegweisend betrachtet werden. Zumal neben Jazz- und Klassik- auch noch Folk-Anklänge in das Debüt der Band einfließen.
Die Musik auf Isn’t Dinner Lovely Tonight lebt von der wendigen und aufmerksamen Spielfreude sowie dem intuitiven Einverständnis aller Beteiligten. Einen großen Einfluss auf die besondere Klangsprache des Quartetts hat zudem Dickbauers persönliche Handschrift als Tonsetzer. „Musik bedeutet für mich, ein Gefühl hervorzurufen und die Seele zu erreichen. Ich möchte das Publikum auf eine Reise mitnehmen, ohne zu viele Vorgaben zu machen.“ So motiviert findet er eine perfekte Balance aus Nahbarkeit und Raffinesse, aus zugänglichen Motiven und schönen Melodien, überraschenden Wendungen und feinen Nuancen. „Es geht um die Essenz von Kammermusik, in der leise Passagen und starke Dynamik sehr wichtig sind. Vielleicht sind meine Notationen umfassender und detailgenauer als im Jazz üblich. Aber ich lasse auch bewusst Leerstellen in den Arrangements, die wir gemeinsam füllen.“
Johannes Dickbauer versteht sich als musikalischer Geschichtenerzähler, was sich unter anderem in den weiten Bögen zeigt, die viele seiner Kompositionen spannen. Ideen greift er bisweilen aus dem Alltag, andere Stücke reflektieren seine Gedanken und Emotionen zu Aspekten des Weltgeschehens. Das Titelstück beispielsweise bezieht sich auf eine Situation zuhause, wenn er zusammen mit seiner Frau ein schönes Abendessen bereitet hat und die genussvolle Idylle von einem oder mehreren ihrer Kinder torpediert wird. „Der Song zeigt die Geschäftigkeit bei uns daheim, aber wir versuchen’s gelassen zu sehen“, lacht Dickbauer.
Der Klimaerwärmung und dem Pariser Abkommen widmet sich Race Against 1.5. „Neben den Dingen die ich zu Hause tun kann, etwa ökologisch bauen, Ernährung aus biologischen und nachhaltigen Produkten aus der Region etc., sehe ich den Titel als einen kleinen Beitrag, der zum Denken anregen soll.“ Nicht weniger politisch hat Lost Caravan, beflügelt von einem eher an osteuropäische Musik erinnernden 7/8-Takt, die Flüchtlingskarawane durch Mexiko vor Augen. Hier hätten ihn die populistischen Mauerpläne des ehemaligen US-Präsidenten und deren Finanzierung besonders beschäftigt, sagt Dickbauer, gleichzeitig die Tatsache, dass ein so wichtiges Thema schnell aus dem Bewusstsein verschwinden kann, wenn es von neuen „Breaking News“ verdrängt wird. Diskussionen während der Pandemie und sich verhärtende Fronten sind der Hintergrund von Vaccine Frenzy, das ähnlich unkonventionell 7er- und 5er-Rhythmen über einen 4/4-Takt legt. Überhaupt tragen metrische Einfälle immer wieder ihren Teil zur Spannung bei. Etwa wenn ein eigentlich gradliniger 4/4 mit einem ungeraden Takt kombiniert wird (Broken Reflections), ein Akkord „zu früh“ einsetzt (also auf der vier statt der eins), Verschiebungen innerhalb der Takte irritieren.
J.D.HIVE entstand im Kern 2020, anlässlich der Einladung zum internationalen Zbignief Seifert-Wettbewerb in Polen. Dickbauer und seine Mitmusiker erreichten einen der beiden vergebenen Spitzenplätze und erhielten erneut positive Medienresonanz. So beschrieb London Jazz News ihre Musik als „classical chamber Jazz of the highest quality; ECM worthy.“ Eine Weile später kam Andreas Waelti als letztes festes Mitglied in die Band.
Johannes Dickbauer betrachtet sein Quartett in manchen Aspekten als Neustart. „Mit Sebastians Klavier gibt es erstmals ein Harmonieinstrument, was mir sehr gefällt“, beschreibt er einen markanten Unterschied zu seinen früheren Ensembles. Zudem seien alle sehr an seiner Musik interessiert und darauf aus, gemeinsam an den Kompositionen zu arbeiten und zu feilen. Charakteristisch für J.D.HIVE ist auch Schlagzeuger András Dés mit seinem unkonventionell ausgesuchten Equipment. „Ich wollte András gerne dabei haben, weil ich seine feine und doch kraftvolle Art zu begleiten von seinen anderen Projekten kannte“, sagt Dickbauer. Dés verzichtet auf eine Kick-Drum zugunsten einer Cajon, setzt ferner Rahmentrommel, Tamburin, Glöckchen und ähnlich ziselierte Perkussion ein. So entsteht ein filigraner Sound, gleichzeitig kann Dés beflügelnde Grooves entfachen.
Fragt man den Bandleader nach seinen Inspirationsquellen, nennt er im Jazz-Bereich Big Bands („wegen des Sounds“), Pat Metheny (speziell dessen Album The Way Up) sowie Michael Brecker. „Für mich waren Saxophonisten und Gitarristen wichtiger als Geiger. Ausgenommen Didier Lockwood mit seiner wahnsinnigen Energie und Mark Feldman, dessen Inbrunst statt eines rein akademischen Ansatzes mich beeindruckt hat.“ Aus dem klassischen Kontext hebt Dickbauer Strawinsky (besonders Sacre du printemps), Bartók und Geiger wie Pekka Kuusisto und Augustin Hadelich (Schubert und Brahms) als Impulsgeber hervor.
1984 wurde Johannes Dickbauer in ein musikalisches Umfeld geboren. Onkel und Tante sind Profis, auch sein Bruder und seine Schwester machten als Musiker*in Karriere. „Es war bei uns normal, ein Instrument zu lernen“, sagt Dickbauer lakonisch. Als Vierjähriger begann er mit der Violine, zwei Jahre später kam das Klavier dazu; mit 12 wechselte er vom klassischen zum Jazz-Piano. Gleichzeitig blieb die Violine immer sein Hauptinstrument. Von 2002 bis 2007 studierte Dickbauer am Curtis Institute of Music in Philadelphia, zuvor am Mozarteum Salzburg und an der Musikuniversität Wien. Der Rückkehr aus den Vereinigten Staaten folgte das Engagement beim schon erwähnten radio.string.quartet.vienna. Danach floss seine Kreativität vor allem in sein Nonett respektive Oktett namens Dickbauer Collective. 2014 und 2018 veröffentlichte es in unterschiedlichen Besetzungen zwei Alben, u.a. mit Klaus Dickbauer, Manu Mayer, Herbert Pirker, Mario Rom, Asja Valcic und Patrice Héral.
Die besondere Gruppendynamik von J.D.HIVE offenbart sich schon in den Studioaufnahmen von Isn’t Dinner Lovely Tonight, umso mehr natürlich live. Unlängst gehörte das Quartett zu den Höhepunkten des European Jazzmeeting, wenn nicht der gesamten Jazzahead 2022 in Bremen. Dickbauers „Bienenstock“ funktioniert anscheinend ähnlich wie die Insekten-Community, nämlich ebenso präzise wie überraschend, und entwickelt dabei enorme Intensität. Einige Titel des Albums hat Dickbauer eigens für das neue Quartett geschrieben, andere schon vorher begonnen, aber bis zur Gründung von J.D.HIVE nicht zufriedenstellend abgeschlossen. „Manche Stücke scheinen auf diese Band gewartet zu haben“, freut sich der Bandleader, „sie kommen erst jetzt zur vollen Entfaltung.“ Mit ihrem charismatischen Debütalbum schreiben Johannes Dickbauer und sein Quartett die Geschichte der Violine im Jazz eigenwillig und erfolgreich fort.
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J.D.HIVE – Isn’t Dinner Lovely Tonight?
Different than in classical music, the violin is one of the rather rare attractions in jazz, even though the great violin virtuosos of improvised music, from Grapelli to Ponty to Didier Lockwood, have set milestones of their own kind. Johannes Dickbauer, head and name-giver of the new quartet J.D.HIVE, has been active in both genres for many years. He has already celebrated several successes balancing on the tightrope between classical music and jazz.
For example, with the radio.string.quartet.vienna. The ensemble was a sensation at the 2006 Jazzfest Berlin when they interpreted pieces of the Mahavishnu Orchestra. The head of the Mahavishnu Orchestra, John McLaughlin, expressed his enthusiasm in the liner notes of the album released in 2007, and the media was also full of praise. About three years and two more productions later Johannes Dickbauer left the quartet to realise his personal ideas as a composer and bandleader.
His latest formation, J.D.HIVE, achieves this goal with outstanding elegance and unpretentious brilliance. The blending of once supposedly rigid genre boundaries alone is no longer unusual today, but the level at which J.D.HIVE’s stylistic mix is performed stands out by far and can be considered groundbreaking. Especially since there are also folk elements, in addition to the jazz and classical music, flowing into the band’s debut.
The music on Isn’t Dinner Lovely Tonight thrives on the band’s agile and attentive joy of playing as well as the intuitive understanding among the musicians. Also a major influence on the quartet’s distinctive musical language is Dickbauer’s personal style as a composer. „For me, music means evoking a feeling and reaching the soul. I want to take the audience on a journey without being too descriptive.“ With this motivation, he finds a perfect balance of intimacy and sophistication, of catchy motifs and beautiful melodies, surprising twists and subtle nuances. “It is about the essence of chamber music, in which quiet passages and strong dynamics are very important. Perhaps my notation is more extensive and detailed than usual in jazz. But I also purposely leave open spaces in the arrangements that we fill together.”
Johannes Dickbauer sees himself as a musical storyteller, which is reflected in the longer arcs of suspense that many of his compositions have. Some ideas he draws from everyday life, other pieces reflect his thoughts and emotions on aspects of world events. The title track, for example, refers to a situation at home when he and his wife have prepared a nice dinner and the delightful idyll is shattered by one or more of their children. „The song illustrates our hustle and bustle at home, but we try to stay relaxed about it,“ Dickbauer laughs.
“Race Against 1.5” is devoted to global warming and the Paris Agreement. „Besides the things I can do at home, like building ecologically, eating organic sustainable products from the region, and so on, I see the track as a small contribution as it should provoke some thought.“ Equally political, “Lost Caravan”, driven by a 7/8 beat a bit reminiscent of Eastern European music, has the refugee caravan in Mexico in mind. The former U.S. president’s populist plans to build a wall and its financing concerned him particularly here, Dickbauer says, and at the same time the fact that such an important topic can quickly disappear from public awareness when it is replaced by new „breaking news“. Discussions during the pandemic and their hardening fronts are the background of “Vaccine Frenzy”, with its unconventional cross-rhythms, consisting of cycles of seven and five over a 4/4 time signature. Generally, metric ideas contribute a lot to the musical excitement. Like when an actually straight 4/4 is combined with an odd meter (“Broken Reflections”), when a chord comes too early (i.e. on the four instead of the one), or when polyrhythmic shifts within the measures destabilise.
The core of J.D.HIVE was formed in 2020, due to the invitation to the international Zbignief Seifert competition in Poland. Dickbauer and his fellow musicians were awarded one of the top two prizes and again received positive feedback from the media. London Jazz News, for example, described their music as „classical chamber jazz of the highest quality; ECM worthy.“ A while later Andreas Waelti joined the band as the last permanent member.
Johannes Dickbauer considers his quartet a new start in some aspects. „With Sebastian’s piano, there is a harmony instrument for the first time, which I like very much,“ he says, describing a distinctive difference to his previous ensembles. Furthermore, everyone is very interested in his music and eager to work on and refine the compositions together. Also characteristic of J.D.HIVE is drummer András Dés with his unconventionally selected equipment. „I wanted András to join because I had heard his fine and yet powerful way of accompanying in his other projects,“ says Dickbauer. Dés does not use a kick drum but instead plays a cajon and also employs a frame drum, tambourine, bells and other similar fine percussion. This creates a delicate sound, yet at the same time Dés is able to unleash exhilarating grooves.
If you ask the bandleader about his sources of inspiration, from the jazz field he names big bands („because of the sound“), Pat Metheny (especially his album The Way Up) as well as Michael Brecker. „For me, saxophonists and guitarists were more important than violinists. Except for Didier Lockwood, with his insane energy, and Mark Feldman, who impressed me with his fervour rather than a purely academic approach.“ From the classical context, Dickbauer points to Stravinsky (especially Sacre du printemps), Bartók, and violinists like Pekka Kuusisto and Augustin Hadelich (Schubert and Brahms) as inspiration.
In 1984 Johannes Dickbauer was born into a musical environment. His uncle and aunt are professionals, and his brother and sister also made careers as musicians. „It was normal for us to learn an instrument,“ Dickbauer says laconically. At the age of four he started with the violin, two years later he started learning the piano as well; at the age of 12 he switched from classical to jazz piano. All the while, the violin remained his main instrument. From 2002 to 2007, Dickbauer studied at the Curtis Institute of Music in Philadelphia, and before that at the Mozarteum Salzburg and the University of Music in Vienna. Following his return from the United States, he joined the already mentioned radio.string.quartet.vienna. After that, his creativity flowed primarily into his nonet or octet called Dickbauer Collective. In 2014 and 2018 it released two albums in different formations, with Klaus Dickbauer, Manu Mayer, Herbert Pirker, Mario Rom, Asja Valcic, Patrice Héral and others.
The unique group dynamic of J.D.HIVE is already exhibited on the studio recordings of Isn’t Dinner Lovely Tonight, and of course even more so live. Recently, the quartet was a highlight of the European Jazzmeeting, if not of the entire Jazzahead 2022 in Bremen. Dickbauer’s „beehive“ apparently functions a lot like the insect community, that is, equally precise as surprising, developing enormous intensity in the process. Dickbauer wrote some of the album’s tracks specifically for the new quartet, while others were started earlier, but were never completed to satisfaction until the founding of J.D.HIVE. „Some pieces seem to have been waiting for this band,“ the bandleader rejoices, „they are just now reaching their full potential.“ With their charismatic debut album, Johannes Dickbauer and his quartet are innovatively and successfully continuing to write the history of the violin in jazz.