Release April 28, 2023
EAN/UPC: 705304468524
Traumton CD: 4685
Lineup
Rabih Lahoud: vocals Marcus Rust: flugelhorn, trumpet Reentko Dirks: doubleneck guitar Demian Kappenstein: drums, percussion
All titles published by Traumton Musikverlag
Recorded, mixed and masteredby Mohi Buschendorf
Produced by Marcus Rust, Reentko Dirks und Mohi Buschendorf
Info / Info english
Masaa – Beit
Das Quartett Masaa begeistert seit vielen Jahren sein Publikum in Ost (von Tunesien über Aserbaidschan bis ins türkische Izmir) wie West (von Spanien über Deutschland, wo die vier Musiker beheimatet sind, bis nach Großbritannien). Auf ihrem bislang letzten Album Irade feierte die Band den Einstand von Reentko Dirks, dessen Gitarrenkünste dem Gruppensound spektakuläre neue Klangfacetten hinzufügten. 2021 wurde Irade mit dem Deutschen Jazzpreis in der Kategorie Vokal-Album des Jahres ausgezeichnet, zudem erhielt der in Monheim bei Köln ansässige libanesische Sänger, Dichter und Komponist Rabih Lahoud den WDR-Jazzpreis.
Auch die Medien sind von der Band begeistert. So lobte die FAZ „die kosmopolitische Ausstrahlung“ und hob unter anderem hervor: „eingängig und gleichzeitig interessant wirken die Melodieführung und das warme Timbre von Rabih Lahoud und Marcus Rust.“ NDR Info konstatierte: „Die Musik hat einen unglaublichen Flow, eine ausgeklügelte Dramaturgie […] und besticht mit einem Trompeten- und Flügelhorn-Sound, der an Nähe und Wärme kaum zu überbieten ist.“ Süddeutsche.de resümierte: „Musik, die laute und leise, nachdenkliche und intensive Töne, Orient und Okzident auf außergewöhnliche Weise vereint.“
Das neue, vierte Album Beit manifestiert die musikalische Tiefe der Band, ihre singuläre Klangsprache und den Gestaltungswillen aller Beteiligten. Allein das Titelstück wirkt wie eine atemberaubende Achterbahnfahrt durch Emotionen und feinsinnige musikalische Wechsel. Anfangs ruhig, beinahe kontemplativ, mit einladenden Gitarrentupfern, zarten Streichern, sensibler Stimme und verwehenden Trompetentönen, wandelt sich der Song ab der Hälfte radikal: über einem ungeraden Groove rappt Rabih Lahoud Silben- und Wortkaskaden, teils im direkten Dialog mit Rust. Auch in „Nabat“ offenbart Lahoud seine Sprechgesangs-Skills, wechselt zwischen akzentuierter Spoken Poetry und melodiösen Passagen. Songs mit Tempo und Drive, darunter die französisch-sprachigen „Racines“ und „Resistance“ sowie das federnd-optimistische „Flowers“ kreieren Kontraste zu langsamen Stücken wie „Mantra“, und „Sukuni“, deren Intensität aus der Reduktion resultiert. Dazwischen positionieren sich Stücke wie „Return“ mit markanter dynamischer Entwicklung.
Stets bildet der eindringliche Gesang Rabih Lahouds, seine Ausdruckskraft über mehrere Oktaven bis in hohe Register, das Gravitationszentrum des Quartetts. Eingebettet in nuancierte Arrangements, deren Dynamik live und auf Platte beeindruckt. Das unverkennbar im zeitgenössischen Jazz angesiedelte Spiel von Trompeter Marcus Rust spannt Bögen von lyrischen Passagen über rhythmische Phrasierungen hin zu spannenden Dialogen mit Lahouds Melismen; Rusts enormes Klangspektrum oszilliert von lautmalerischen über verschattete bis zu strahlenden (Mikro-)Tönen. Schlagzeuger Demian Kappenstein unterstützt und beflügelt mit leichter Hand, mal sensibel, mal lauernd bis energiegeladen. Dazu kreiert Reentko Dirks variable Klänge mit seiner speziellen Akustikgitarre. Auf einem ihrer zwei Hälse spielt Dirks filigrane Pickings und zupackende Akkorde bis hin zu einer Flamenco-Vehemenz. Der zweite Hals ist teils mit Bass-Saiten und teils doppelsaitig bespannt, zudem gibt es in der oberen Hälfte des Griffbretts keine Bünde, was das Spiel von Glissandi und Vierteltönen erleichtert. So kommt Dirks dem Klang eines Kontrabass und der arabischen Laute Oud nahe. Erstmals arbeitet Masaa auf Beit auch mit subtilen Streichern, mal etwas kantiger im Titelstück, mal schwebend bis leicht anschwellend in „Mantra“ und „Lotus“, mal etwas orchestraler in „Freedom Dance“.
Während Lahoud alle Texte schreibt, stammen die Kompositionen überwiegend von Rust und Dirks. „Es sind aber eher Skizzen als Partituren“, erklärt Lahoud das kollektive Arbeitsprinzip, „jeder steuert Ideen bei und dadurch bleibt die Musik nie so, wie sie ursprünglich notiert wurde.“ Zur gemeinsamen Entwicklung des neuen Repertoires zog sich das Quartett im Mai 2021 in ein altes Haus im Bergischen Land zurück. „Es liegt weit weg von allen städtischen Ablenkungen, wir konnten also dort nichts anderes machen als unsere Musik“, lacht Rabih Lahoud.
Viele Stücke basieren auf persönlichen Erlebnissen, die im Diskurs universelle Gedanken hervorrufen. Das Zusammensein und die Verständigung, aus der Kreativität entsteht, ist ein zentraler Gedanke von Beit (auf Deutsch: Haus, Heim). „Die Heimat ist kein besonderer Ort oder Platz. Es ist etwas, das vor allem zwischenmenschlich entsteht und auf Orte und Plätze übertragen wird. Es fasziniert mich, dass wir uns durch intensive Dialoge eine Art Haus aufbauen, eine Heimat schaffen können“, sagt Lahoud, „wir brauchen dafür einen Ort, an dem Menschen gleichberechtigt miteinander sein und kommunizieren können. Und wenn die Musik erklingt, verwandelt sich der neue unbekannte Raum in eine vertraute Umgebung, eine Heimat wird kreiert und durch die damit verbundene Vertrautheit und Sicherheit, die Möglichkeit, Inneres frei auszudrücken.“
Rabih Lahouds Poesie beschränkt sich diesmal auf Hoch- und libanesisches Arabisch sowie Französisch. Seine assoziativen, metaphorischen Texte sind absichtsvoll vieldeutig und stets hintersinnig. „Wenn ich etwas sehr konkret ausspreche, gehen Türen zu. Daher stelle ich mir immer die Frage, auf welche Weise ich eine Veränderung anstoßen kann, wenn mir etwas nicht gefällt.“ Das gelte nicht nur auf verbaler Ebene, sondern auch im größeren Rahmen, wenn es eine innere Kraft brauche, um etwas zu unternehmen. Mit Veränderungen kennt sich Lahoud aus, immerhin lebte er rund fünfzehn Jahre im Libanon, ehe die Familie nach Deutschland emigrierte. Die Vorstellung einer bestimmten Gesellschaft treibe ihn heute noch um, bemerkt Lahoud: „bei ‚Zeryab‘ dachte ich an das mittelalterliche Andalusien und das damalige Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen.“
Im direkten Vergleich mit dem Vorgängeralbum Irade ist die spielerische Interaktion besonders von Lahouds Gesang und Dirks’ Oud-ähnlichen Arabesken nun um einiges stärker. „Reentko inspiriert tatsächlich meine Intonation“, stellt Lahoud zufrieden fest. Die spezielle Ästhetik orientalischer Musik leuchtet immer wieder auf, wenngleich sie nicht ostentativ ins Rampenlicht gestellt wird. Manche Stücke wie etwa „Zeryab“ mit seinem eingeflochtenen Nahawand-Modus basieren auf ungeraden bis komplexen Metren, „Abun Rahal“ gründet in einem klassischen Maqam Saba, der mit minimalen Intervallen arbeitet und Schmerz suggeriert.
„Unsere dritte Platte war ein Schrei nach Veränderung. Beit kommt nun an einem Punkt an, wo es besser ist“, resümiert Rabih Lahoud. Tatsächlich wirken die neuen Songs nicht nur philosophischer und tiefgründiger, sondern auch heller. Wer möchte, kann Masaa in eine Reihe mit Grenzgängern wie Dhafer Youssef und Rabih Abou-Khalil stellen. Die Musik von Beit ist detailschärfer denn je, die Interaktion noch nuancierter. Wie eine Nahaufnahme, die vieles klarer macht.
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Masaa – Beit (english)
For many years, the quartet Masaa has been fascinating audiences in both East (from Tunisia to Azerbaijan all the way to Izmir, Turkey) and West (from Spain to Germany, where the four musicians are based, to Great Britain). On their latest album to date, Irade, the band celebrated the addition of their new member Reentko Dirks, whose guitar mastery added spectacular new facets to the group’s sound. In 2021 Irade was awarded the German Jazz Prize in the category Vocal Album of the Year, and the Lebanese singer, poet and composer Rabih Lahoud, who lives in Monheim near Cologne, received the WDR Jazz Prize as well.
Also the media is enthusiastic about the band. The FAZ, for example, praised „the cosmopolitan charisma“ and especially emphasized that „the melodic lines and the warm timbre of Rabih Lahoud and Marcus Rust are catchy and interesting at the same time.“ NDR Info stated: „The music has an incredible flow, a sophisticated dramatic structure […] and captivates with a trumpet and flugelhorn sound of almost unsurpassable closeness and warmth.“ Süddeutsche.de concluded: „Music that unites loud and quiet, thoughtful and intense sounds, Orient and Occident in an extraordinary way.”
The new, fourth album Beit manifests the musical depth of the band, their unique sonic language and the creative will of everyone involved. Just the title track alone seems like a breathtaking roller coaster ride through emotions and subtle musical changes. Initially calm, almost contemplative, with pleasing guitar speckles, delicate strings, sensitive vocals and drifting trumpet sounds, the song changes radically halfway through: over an odd-meter groove, Rabih Lahoud raps cascades of syllables and words, sometimes in direct dialogue with Rust. Also in „Nabat“ Lahoud reveals his chanting skills, alternating between accentuated spoken poetry and melodic passages. Songs with tempo and drive, including „Racines“ and “Resistance“ sung in French, as well as the sprightly optimistic “Flowers“, create contrasts to slower pieces like „Mantra“ and „Sukuni“, whose intensity results from reduction. In between, there are pieces like „Return“ with a strikingly dynamic development.
Rabih Lahoud’s captivating vocals, with expressiveness over several octaves up into high registers, consistently form the quartet’s gravitational center. Embedded in nuanced arrangements of great dynamics that impress live and on record. The playing of trumpeter Marcus Rust, unmistakably rooted in contemporary jazz, spans from lyrical passages to rhythmic phrasing and exciting dialogues with Lahoud’s melismas; Rust’s enormous sound spectrum oscillates from onomatopoeic to hushed to radiant (micro-)tones. Drummer Demian Kappenstein supports and inspires with ease, sometimes sensitive, sometimes lurking or energetic. In addition Reentko Dirks creates versatile sounds with his special acoustic guitar. On one of its two necks Dirks plays delicate pickings and vigorous chords that even reach flamenco-like vehemence. The second neck is strung partly with bass strings and partly with double courses, and there are no frets on the upper half of the fingerboard, which makes it easier to play glissandi and quarter tones. This way Dirks comes close to the sound of a double bass and the Arabic lute oud. On Beit, Masaa subtly works with string section for the first time, sometimes a bit edgier like in the title piece, sometimes floating or slightly swelling like in „Mantra“ and „Lotus“, other times more orchestral like in „Freedom Dance”.
While Lahoud writes all the lyrics, the compositions are mainly by Rust and Dirks. „But they are more like sketches rather than full scores,“ says Lahoud, explaining the collective working process, „everyone contributes ideas, and as a result the music never stays the way it was originally notated.“ To develop the new repertoire together, the quartet retreated to an old house in the region Bergisches Land in May 2021. „It’s located far away from all urban distractions, so we couldn’t do anything else there but our music,“ Rabih Lahoud laughs.
Many pieces are based on personal experiences that in discourse evoke universal thoughts. The togetherness and mutual understanding from which creativity emerges is a central idea of Beit (in English: house, home). „Home is not a particular place or space. It is something that arises primarily on an interpersonal level and is projected onto places and spaces. It fascinates me that through intensive dialogues we can build a kind of house, create a home,“ says Lahoud, „we need a place for this, where people can be and communicate with each other as equals. And when the music sounds, the new unknown space turns into a familiar environment, a home is created, and through the familiarity and security that comes with it, the possibility to freely express the inner arises.”
This time Rabih Lahoud’s poetry is limited to Arabic, Lebanese, and French. His associative, metaphorical texts are intentionally ambiguous and always have deeper meaning. „When I say something very explicitly, it closes doors. So I always ask myself in what way I can push for change when I don’t like something.“ That does not only apply on a verbal level, he says, but also on a larger scale, when an inner force is necessary for taking action. Lahoud is familiar with change; after all, he lived in Lebanon for about fifteen years before his family emigrated to Germany. The idea of a certain society still drives him today, Lahoud notes: „When I thought of ‘Zeryab‘, I thought of medieval Andalusia and the way different cultures lived together at that time.”
In direct comparison with the previous album Irade, the playful interaction especially of Lahoud’s vocals and Dirks‘ oud-like arabesques is now much stronger. „Reentko actually inspires my intonation,“ Lahoud asserts contentedly. The special aesthetic of oriental music shines through again and again, although it is not ostentatiously put in the spotlight. Some pieces, such as „Zeryab“ with the Nahawand mode woven in, are based on odd and complex meters, while „Abun Rahal“ is based on a classical Maqam Saba that works with minimal intervals and conveys pain.
„Our third record was a call for change. Beit now arrives at a point where it’s better,“ Rabih Lahoud summarizes. Indeed, the new songs do not only seem more philosophical and more profound, but also brighter. If you want, you can consider Masaa in the same league as crossover artists like Dhafer Youssef and Rabih Abou-Khalil. Beit’s music is more finely detailed than ever, the interaction even more nuanced. Like a close-up shot that makes many things clearer.