Release February 14, 2020
EAN/UPC: 705304468524
Traumton CD: 4685
Lineup
Rabih Lahoud: vocals Marcus Rust: flugelhorn, trumpet Reentko Dirks: guitar Demian Kappenstein: drums, percussion
All titles published by Traumton Musikverlag
Recorded and mixed by Andreas Lammel in May 2019
Mastered by Wolfgang Loos at Traumton Studios, Berlin
Produced by Masaa and Andreas Lammel
Info / Info english
Masaa – Irade
Fast drei Jahre sind seit Erscheinen der CD Outspoken vergangen, vieles ist seitdem passiert. Die Tournee zur Veröffentlichung führte das Quartett unter anderem nach Tunesien, Aserbaidschan und Izmir sowie von Spanien bis England quer durch Westeuropa. Begeisterte Reaktionen von Publikum und Medien legten nahe, dass Masaa erfolgreich weiter ihren Weg gehen werden. „Die Musik hat einen unglaublichen Flow, eine ausgeklügelte Dramaturgie, ist emotional sehr intensiv und besticht stets mit einem Trompeten- und Flügelhorn-Sound, der an Nähe und Wärme kaum zu überbieten ist“, konstatierte NDR Info. Und bei Süddeutsche.de war zu lesen: „[…] zeigt jeder Einzelne seine persönliche Note, gemeinsam werden diese zu einer Musik, die laute und leise, nachdenkliche und intensive Töne, Orient und Okzident auf außergewöhnliche Weise vereint.“ Doch dann ein unerwarteter Bruch: Pianist Clemens Pötzsch verließ 2018 die perfekt eingespielte Band. „Nach einiger Überlegung haben wir uns dafür entschieden, mit Gitarre statt Klavier weiter zu machen“, erklärt Trompeter Marcus Rust, „zumal wir Reentko Dirks von unseren Studientagen in Dresden kannten.“
Der Wechsel bringt natürlich Veränderungen in Klang und Ästhetik, die Masaa souverän für sich zu nutzen weiß. Weiterhin steht der eindringliche, zurückhaltend mit Arabesken verzierte Gesang Rabih Lahouds im Zentrum, prägen sein über mehrere Oktaven warmes Timbre und seine Ausdruckskraft bis in hohe Register alle Songs von Irade. Geblieben sind auch die feinsinnigen Arrangements, deren kraftvolle Dynamik zuweilen gängige kammermusikalische Rahmen sprengt. Dafür sorgt nicht nur der enorme Umfang von Lahouds gravitätischer Stimme, sondern auch das ausgesprochen variable, unverkennbar im zeitgenössischen Jazz angesiedelte Spiel von Rust und Drummer Demian Kappenstein. An ihrer Seite kreiert nun Reentko Dirks nuancierte, in dieser Form bei Masaa noch nicht gehörte Klänge, dank seiner speziellen akustischen Gitarre, aus deren Körper zwei Hälse wachsen.
Einer davon entspricht dem üblichen klassischen Modell, auf ihm spielt Dirks filigrane Pickings und kraftvolle bis relativ hart angeschlagene Akkorde. Sie wecken zuweilen Erinnerungen an arabo-andalusische Stilistik und können sogar Flamenco-Vehemenz erreichen, etwa in dem erst ruhigen, dann temporeichen Averoes. Der zweite Hals ist teils mit Bass-Saiten und teils doppelsaitig bespannt, zudem gibt es in der oberen Hälfte des Griffbretts keine Bünde, was das Spiel von Glissandi und Vierteltönen erleichtert. So kommt Dirks dem Klang eines Kontrabass und einer arabischen Laute nahe. „Reentko macht den Oud-Sound zu seinem eigenen und verwebt ihn meisterhaft mit anderen Klängen“, schwärmt Rabih Lahoud, „ich habe eine solche Vielfalt bei keinem anderen Musiker in dieser Intensität gehört. Er kreiert neue Themen für unsere musikalischen Dialoge.“
„Wir haben viele Kompositionen Reentkos ins Repertoire aufgenommen“, ergänzt Marcus Rust, „um ein neues Bandkapitel aufzuschlagen, das von ihm maßgeblich mitgestaltet wird.“ Zweifellos hat sich die Musik dadurch insgesamt mehr in Richtung Orient bewegt. Die Saitensprünge des mehrfach ausgezeichneten Musikers, seine Kontrapunkte und Unisoni mit Lahouds Gesang lassen keinen Zweifel, dass sich der 40 Jahre alte Niedersachse intensiv mit Traditionen des östlichen Mittelmeerraums beschäftigt hat. Zudem verfügt er über profunde Kenntnisse der europäischen Klassik und weiß sein ohnehin weites Klangpanorama gezielt mit extremen Stimmungen oder mechanischen Präparierungen zu abstrahieren, wie beispielsweise in Sara zu entdecken ist. Nur ganz selten und sehr zurückhaltend, wie etwa bei Farascha, benutzt Dirks einen E-bow für lange stehende Töne.
Marcus Rusts Stücke sind inspiriert von namhaften Grenzgängern mit arabischen Wurzeln, namentlich Dhafer Youssef, Anouar Brahem und Rabih Abou-Khalil. „Ich musste beim Komponieren neu denken. Für Klavier zu schreiben war mir vertraut, weil ich es selbst spiele. Für Gitarre zu schreiben erforderte dagegen einen bewussteren Ansatz.“ Auf seinen Hauptinstrumenten Trompete und Flügelhorn kreiert Rust vielfältige, oft atmosphärische Töne, wechselt von verschatteten über fistelnde zu strahlenden Farben, von lyrischen Passagen über rhythmische Phrasierungen bis zu Unisoni oder Dialogen mit Lahouds wendigen Melismen.
Irade bedeutet Willenskraft und stand schon früh als Titel für das Album fest. „Die Willenskraft meines Herzens schläft, wenn ich nicht an sie glaube – zum Beispiel weil mir jemand gesagt hat, ich hätte keinen Willen, ich hätte keine Kraft, ich könnte nichts verändern“, erklärt Rabih Lahoud. „Sobald ich aber weiß, dass ich das alles doch in meinem Herzen habe, erwacht meine Willenskraft und ich erlebe mich und mein Leben neu. Ich kann Dinge verändern.“ Als Kind katholischer Maroniten 1982 im Libanon geboren und aufgewachsen, hinterfragte Lahoud schon früh die dort allgegenwärtige Forderung, sich für eine Seite entscheiden zu müssen. Bis heute lehnt er sich gegen schwarzweiße Regeln auf, mit denen er nicht nur im Nahen Osten, sondern auch während seines Studiums in Düsseldorf konfrontiert wurde. Glücklicherweise lernte er Mitte 2008 den Trompeter Markus Stockhausen kennen, der ihn dazu ermutigte, sich mit Musiktraditionen seiner alten Heimat zu beschäftigen. Von Deutschland aus entwickelte Lahoud einen neuen Blick auf die reiche arabische Kultur, parallel dazu entstand 2011 die Idee zu Masaa. Trompeter Marcus Rust hatte bereits eine Band mit seinen Dresdener Kommilitonen Clemens Pötzsch und Demian Kappenstein; dass sich die Wege des Trios und Lahouds kreuzten, war wiederum Stockhausen zu verdanken.
Seit Outspoken ist Lahoud, so sagt er, „unabhängiger von meiner Vergangenheit geworden, dazu hat die Arbeit mit dieser Band viel beigetragen. Ich lasse mich auf meine Mitmusiker total ein und erlebe den Fluss der Musik immer stärker.“ Die Natur der Musik von Masaa lebe von dem Moment, führt Lahoud weiter aus, Überlegungen zu Vergangenheit und Tradition, Zukunft und Innovation würden zunehmend in den Hintergrund treten. In seinen emotionalen und poetischen Texten, die wie gewohnt in vier Sprachen im Booklet abgedruckt sind, spart er schlimme Dinge der Gegenwart nicht aus, spricht Zäune, Krieg und Zerstörung bisweilen konkret an, bewahrt aber doch stets das Schöne im Blick und macht Hoffnung, statt zu klagen. „Die Realität so zu sehen, wie sie ist, ist eine wichtige Eigenschaft für mich. Das aktuelle Gefühl, also auch das Melancholische zuzulassen ist wichtig, um Mut zu schöpfen. Das ist für mich die Grundstimmung und die Haltung der Songs.“
Alle Titel auf Irade wurden eigens für die aktuelle Konstellation geschrieben, wie früher schon gestaltete die Band gemeinsam die Arrangements. Der neue, detailgenau gewobene Masaa-Sound klingt noch lebendiger und dynamischer. Er changiert zwischen Intimität und individueller Melodik, schillernden Wendungen und überraschenden Kontrasten, wechselnden Tempi und Grooves. Mehr denn je kreiert das Quartett eine konsequent eigenständige, unvergleichliche Klangsprache, die in vieler Hinsicht künstlerisch vereint, was von anderen gern durch imaginäre Schranken oder echte Grenzen getrennt wird.
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Masaa – Irade (english)
Almost three years have passed since the release of the CD Outspoken and a lot has happened since then. The quartet’s tour for the release took them to Tunisia, Azerbaijan and Izmir, and from Spain to England all across Western Europe. Enthusiastic reactions from audience and media indicated that Masaa would successfully continue on their path. „The music has an incredible flow, an ingenious dramaturgy, is emotionally very intense and captivates with a trumpet and flugelhorn sound that can hardly be surpassed in nearness and warmth,“ stated NDR Info. And Süddeutsche.de wrote: „[…] each individual shows his personal note, together they become a music that combines loud and quiet, contemplative and intense sounds, Orient and Occident in an extraordinary way.“ But then an unexpected change: pianist Clemens Pötzsch left the perfectly attuned band in 2018. „After some thought we decided to continue with guitar instead of piano,“ trumpeter Marcus Rust explains, „especially since we knew Reentko Dirks from our college days in Dresden.“
The change naturally also brings about changes in sound and aesthetics, which Masaa know how to use to their advantage. Still the striking vocals of Rabih Lahoud, tastefully embellished with arabesques, are at the center; his warm timbre over several octaves and his expressiveness up into high registers characterize all songs on Irade. What has also remained are the intricate arrangements, whose powerful dynamics occasionally go beyond the common chamber musical scope. This is not only the result of the enormous range of Lahoud’s gravitational voice, but also of the extremely variable playing of Rust and drummer Demian Kappenstein, unmistakably rooted in contemporary jazz. At their side Reentko Dirks now creates nuanced sounds thus far unheard in Masaa, thanks to his special acoustic guitar, from whose body two necks grow.
One of them is the usual classical model, on which Dirk plays graceful pickings and powerful or relatively hard chords. At times they evoke memories of Arabo-Andalusian stylistics and even reach Flamenco vehemence, for example in the at first quiet, later fast-paced „Averoes“. The second neck is stringed partly with bass strings and partly with double strings, and there are no frets on the upper half of the fingerboard, which facilitates the playing of glissandi and quarter tones. In this way Dirks can recreate the sound of a double bass and an Arabian lute. „Reentko has made the oud sound his own and masterfully interweaves it with other timbres,“ Rabih Lahoud praises, „I haven’t heard such diversity with this intensity from any other musician. He creates new themes for our musical dialogs.“
„We have included many of Reentko’s compositions in our repertoire,“ Marcus Rust adds, „in order to open a new chapter of the band, in which he will play a decisive role.“ Undoubtedly this has moved the music more towards the Orient. The string leaping of the award-winning musician, his counterpoints and the unisons with Lahoud’s singing leave no doubt that the 40-year-old from Lower Saxony has intensively studied traditions of the Eastern Mediterranean. In addition, he has a profound knowledge of European classical music and knows how to purposefully abstract his already broad sound spectrum with extreme tunings or mechanical preparations, as can be heard in „Sara“ for example. Only very rarely and very discreetly, like in „Farascha“ for example, Dirks uses an e-bow for long lasting notes.
Marcus Rust’s pieces are inspired by well-known crossover artists with Arab roots, namely Dhafer Youssef, Anouar Brahem and Rabih Abou-Khalil. „I had to rethink my composing. Composing for piano was familiar to me because I play it myself. Writing for guitar, on the other hand, required a more conscious approach. On his main instruments trumpet and flugelhorn, Rust creates diverse, often atmospheric timbres, changing from dark to shimmering to vibrant colors, from lyrical passages to rhythmic phrasing or to unisons or dialogs with Lahoud’s lively melismas.
Irade means willpower and was determined to be the title of the album early on. „The willpower of my heart sleeps when I don’t believe in it – for example when someone told me I had no will, I had no power, I couldn’t change anything,“ Rabih Lahoud explains. „But as soon as I know that I have all this in my heart, my willpower awakens and I experience myself and my life in a new way. I can change things.“ Born and raised as a child of Catholic Maronites in Lebanon in 1982, Lahoud already questioned early on the omnipresent demand there to have to choose a side. Until today he rebels against black and white rules, with which he was confronted not only in the Middle East, but also during his studies in Düsseldorf. Fortunately, he met the trumpeter Markus Stockhausen in mid-2008, who encouraged him to explore the musical traditions of his original homeland. From Germany Lahoud developed a new perspective of the rich Arab culture, and at the same time the idea for Masaa emerged in 2011. Trumpeter Marcus Rust already had a band with his fellow students in Dresden, Clemens Pötzsch and Demian Kappenstein; the fact that the trio and Lahoud crossed paths was again thanks to Stockhausen.
Since Outspoken, Lahoud says he has „become more independent of my past, to which the work with this band has contributed a lot. I totally engage with my fellow musicians and experience the flow of music more and more strongly.“ The nature of Masaa’s music lives from the moment, Lahoud explains, thoughts about past and tradition, future and innovation are increasingly fading into the background. In his emotional and poetic lyrics, which are like always printed in four languages in the booklet, he doesn’t leave out bad things of the present. He sometimes concretely addresses fences, war and destruction, but still always keeps an eye on the beautiful and gives hope instead of lamenting. „To see reality as it is, is an important quality for me. To allow the momentary feeling, so also melancholy, is important to gain courage. For me that is the underlying mood and attitude of the songs.“
All tracks on Irade were written specifically for the current constellation, and as before, the band created the arrangements together. The new, intricately woven Masaa sound is even more lively and dynamic. It shifts between intimacy and unique melodies, dazzling twists and surprising contrasts, changing tempos and grooves. More than ever the quartet creates a consistently independent, incomparable language of sound, which in many respects artistically unites what others often separate with imaginary barriers or real borders.