Release September 21, 2018
EAN/UPC: 705304466629
Traumton CD: 4666
Lineup
Wanja Slavin: alto, tenor & midi saxophone, synth, flute, clarinet Rainer Böhm: piano, synth Reinier Baas: guitar Matthias Pichler: bass Peter Gall: drums, percussion, synth
Special guests:
Ben Kraef: tenor saxophone on track 9
Kalle Zeier: guitar effects on track 8
All songs written by Peter Gall, published by Traumton Musikverlag
Recorded by Christian Bader in December 2016 at P4, Berlin
Additional overdubs recorded by Chris Gall, Marco Mingarelli and Wanja Slavin
Mixed and mastered by Dave Darlington at Bass Hit Recording, New York City
Produced by Peter Gall
Info / Info english
Peter Gall – Paradox Dreambox
In den vergangenen 12 Jahren hat sich Peter Gall als souveränes Metrum und Komponist in diversen Bands profiliert, etwa bei Subtone (u.a. mit Florian Hoefner, Magnus Schriefl und Matthias Pichler) oder Roberto Di Gioias Web Web (u.a. mit Tony Lakatos). Auf rund 30 Alben ist Gall bislang als Drummer zu hören, darunter im Trio seines Bruders Chris, bei Blume (mit Schriefl, Wanja Slavin, Bernhard Meyer), dem Rainer Böhm Quartett, Torsten Goods und Enik; zudem wurde er von Koryphäen wie Kurt Rosenwinkel oder Thomas Quasthoff u.v.m. engagiert. Nun präsentiert der seit seinem Diplomstudium (u.a. bei John Hollenbeck) und einem zweijährigen New York-Aufenthalt wieder in Berlin ansässige Musiker seine erste eigene Produktion, Paradox Dreambox. Sie überfällt nicht mit überbordendem Getrommel, sondern verführt durch melodiöse Bögen und vielschichtige Arrangements, nuancierte Band-Interaktionen und latente Energie auch in leiseren Passagen.
Dynamik zieht sich als eine Art Leitmotiv durch das Album. Das temporeiche Titelstück setzt offensive Akzente, mit parallelen und verschlungenen Linien, versetzten Beats, sich gegenseitig aufstachelnden Soli und mitreißender Emphase. Ausgehend von einem pointierten Klavier-Intro, entwickelt das Quintett weite Bögen, die sich zum Ende hin vereinen, verzahnen und in einem lyrischen Klavierteil ausklingen. Die folgende Ballade Faro kreiert hingegen trotz 6/8-Takt eine beinahe kontemplative Stimmung, die weniger die robuste Kraft des Atlantiks als vielmehr das relativ entspannte Lebensgefühl und die weiten Ausblicke über Landschaft und Meer am südlichsten Punkt Europas imaginiert. Dass Wanja Slavin in seinem wunderbar gefühlvollen Alto-Solo am Ende doch ein wenig rauer wird, passt perfekt ins Bild. 4 West wiederum reflektiert, bereits 2010 in New York geschrieben, die Jazzstimmung in der Stadt; melodische Passagen alternieren mit Soli, nach Klavier und Kontrabass changiert die Klangästhetik ins Elektronische, übernehmen Synthesizer-Sounds und Flöten bis zum Ende des Stücks die Hauptrolle.
Abwechslungsreich geht es weiter, mal etwas mehr in Richtung musikalisch-künstlerische Freiheit, mal ruhiger. Dass Yellow Heaven mehr als alle anderen Stücke wie ein Song ohne Worte klingt, ist kein Zufall. Immerhin hat Peter Gall, 1983 geboren und in seiner Jugend vom Vater und seinem älteren Bruder Chris nicht nur mit Jazz infiziert, auch ein erklärtes Faible für The Beatles und Radiohead, Bon Iver und Elliot Smith. „Der gelbe Himmel ist weniger ein Ort, eher ein Zustand“, sinniert Gall, „das Stück basiert auf einem sehr emotionalen Song übers Älterwerden, Vergänglichkeit und Hoffnung, den ich vor zwei Jahren für einen Geburtstag geschrieben habe. Jetzt spielen wir ihn ohne Text, mit einer magischen Interpretation von Wanja.“
Jede seiner Kompositionen auf Paradox Dreambox steht für sich, sagt Peter Gall. Entsprechend variabel klingt das Repertoire und lässt doch stets klare musikalische Handschrift erkennen. Zu allen Stücken kann Gall eine Geschichte erzählen oder zumindest eine Erinnerung anbringen. Beim gut neunminütigen A Bird’s First Escape geht es nicht etwa um Charlie „Bird“ Parker, es bezieht sich vielmehr auf den Vogel einer Nachbarin, der einst aus seinem Käfig entweichen und erstmals in Freiheit seine Kreise ziehen konnte. Indie A ist ebenfalls in New York entstanden und verabschiedet unsentimental eine verblichene Romanze; für sein dreistimmiges Arrangement lud Gall hier den Tenorsaxophonisten Ben Kraef als speziellen Gast ein. Das abschließende Ambrilla beginnt mit lyrischen Themen und melancholisch-sehnsuchtsvollen Akkorden, um dann unvermittelt durch Synthis, elektronische Sounds und Grooves komplett die Richtung zu ändern. „Die Idee ist, eine Stimmung zu kreieren, der man sich hingibt – um dann passiert etwas ganz anderes, unerwartetes.“ In diesem Zusammenhang holt Gall etwas weiter aus, reflektiert über die Musik zu David Lynchs Twin Peaks und dessen unerklärliche Szenen und Eindrücke. „Im Soundtrack erzeugen oder verstärken die Synthesizer eine mystische bis surreale Atmosphäre. Wir haben auf ähnliche Art, also mit elektronischen Sounds, kleine Ausflüge in Zwischen- oder Parallelwelten unternommen, die manchmal paradoxe oder dunkle Stimmungen hervorrufen.“
Peter Galls erstes Album unter eigener Regie ist kein Schnellschuss. Vielmehr haben sich Konzept, Kompositionen und Bandbesetzung über einen längeren Zeitraum in der Vorstellung des Musikers ausgeformt. Als Bandleader alle Fäden in der Hand zu halten, ging Gall bereits durch den Kopf, während er vor rund sieben Jahren an der Manhattan School of Music in N.Y.C. seinen Master absolvierte. Trotzdem verschob er das Projekt immer wieder; erst ein Kompositionsstipendium des Berliner Senats machte den Weg frei.
Bereits beim Schreiben der Stücke für Paradox Dreambox hatte Peter Gall den jeweiligen Klang und die emotionale Spielhaltung seiner musikalischen Partner im Kopf, mit denen er größtenteils seit Jahren befreundet ist. Zu Wanja Slavin, Rainer Böhm und Matthias Pichler muss man nichts mehr sagen, alle wurden schon mit Preisen ausgezeichnet und zählen zu den markanten Personen des jüngeren deutschen Jazz. Etwas unbekannter dürfte der holländische Gitarrist Reinier Baas sein. „Ich hatte ihn an der Manhattan School kennengelernt und seine Alben beeindruckten mich. Jahre später haben wir dann zufällig einige Gigs zusammen gespielt. Abgesehen davon, dass er ist ein sehr eigenständiger Gitarrist ist, fand ich die Idee interessant, ihn als einen Musiker einzuladen, der mir nicht so vertraut ist wie die anderen. Um Spontaneität und eine unmittelbare Kommunikation zu provozieren.“ Grundsätzlich ließ Gall all seinen Partnern Freiräume, eigene Ideen einzubringen. Umso spannender empfand er es, mit welchen Einfällen Baas die Band überraschen würde. „Wir haben uns alle gegenseitig befruchtet“, konstatiert Gall zufrieden, „und Reinier hat einige Intros beigesteuert, die die Songs auf ihre Art prägen. Seine Klangfarben, beispielsweise bei Faro und Bird’s First Escape, hatte ich mir gewünscht, ohne sie konkret benennen zu können.“
Was es mit dem Titel des Albums, Paradox Dreambox auf sich hat? Peter Gall sagt von sich selbst, er habe generell einen gewissen Hang zum Träumen. Seine Kompositionen betrachtet er als Rahmen („box“), in dem sich träumen lässt. Dabei ist dieser Rahmen, innerhalb dessen sich die ganze Band bewegt, flexibel und kann in Teilen sogar lustvoll dekonstruiert werden. Mit seiner Musik erzählt Gall auf nicht-lineare Art Geschichten, in denen Bilder und Handlungen auf unerwartete, bisweilen beinahe mysteriöse Weise wechseln. Der Name Paradox Dreambox beschreibt, sagt Peter Gall, einen „Vibe“, in dem prägnante Klangfarben unterschiedliche Assoziationen und vielschichtig interpretierbare Gefühlswelten auslösen können. Mit seiner suggestiven, stilistisch offenen Musik etabliert sich der versierte Schlagzeuger endgültig auch als versierter Komponist und kluger Bandleader in der zeitgenössischen Jazzszene.
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Peter Gall – Paradox Dreambox (english)
In the past 12 years Peter Gall made a name for himself as masterful meter and composer in various bands, for instance Subtone (including Florian Hoefner, Magnus Schriefl and Matthias Pichler) or with Roberto Di Gioia’s Web Web (including Tony Lakatos). Gall’s drumming can be heard on roughly 30 albums to date, among them his brother Chris’ trio Blume (with Schriefl, Wanja Slavin, Bernhard Meyer), the Rainer Böhm Quartet, Torsten Goods and Enik; furthermore he was engaged by luminaries like Kurt Rosenwinkel or Thomas Quasthoff, only to name a few. Now he presents his first own production, Paradox Dreambox. It doesn’t spring exuberant drumming on the listener, but rather allures with melodious lines and multilayered arrangements, nuanced band interactions and latent energy even in quieter passages.
Dynamics lead through the album like a sort of leitmotiv. The fast-paced title piece sets energetic emphases. Beginning with a trenchant piano intro, the quintet develops wide melodic arches that unify in the end, interlock and fade away in a lyrical piano part. The following ballad Faro creates an almost contemplative mood, which depicts not so much the robust force of the Atlantic, but much rather the relatively relaxed sense of life and the expansive vistas over landscape and ocean at the most southern point of Europe. However, the fact that Wanja Slavin gets a little rougher at the end of his wonderfully soulful alto solo fits the picture perfectly. “4 West” on the other hand, written back in 2010 in New York, reflects the jazz atmosphere in the city; melodic passages alternate with solos and after piano and double bass the sound aesthetic changes to more electronic, synthesizer sounds where flutes assume the main role until the end of the piece. That “Yellow Heaven” sounds more like a song without words than all the other pieces is no coincidence. After all, Gall – born 1983 and in his youth not only infected with jazz by his father and brother Chris – has a declared passion for The Beatles and Radiohead, Bon Iver and Elliot Smith. “The yellow heaven is much less a place, but rather a condition,” Gall ponders, “the piece is based on a very emotional song that I wrote for a birthday about growing old, impermanence and hope. Now we play it without lyrics, with a magical interpretation by Wanja.”
Every composition on Paradox Dreambox stands for itself, Peter Gall says. The repertoire sounds thus variable and yet still carries a distinct musical thumbprint at all times. For all pieces, Gall can tell a story or at least reference a memory. The about nine-minute-long “A Bird’s First Escape” is not about Charlie “Bird” Parker. It in fact refers to a neighbor’s bird, which could once escape his cage and fly circles in freedom for the first time. “Indie A” also originated in New York and unsentimentally bids farewell to a faded romance; for his three-part arrangement Gall invited the tenor saxophonist Ben Kraef as special guest. The concluding piece “Ambrilla” begins with lyrical themes and melancholic, yearning chords, to then abruptly change direction by the use of synths and electronic sounds and grooves. “The idea is to create a mood that you give yourself to – and then something completely different, unexpected happens.”
You wonder what the title of the album Paradox Dreambox is all about? Peter Gall says of himself, that he generally has a certain penchant for dreaming. He regards his compositions as a frame or “box”, in which one can dream. This frame that the whole band moves within is flexible though, and can even be sensually deconstructed at times. With his music Gall tells stories in a non-linear fashion, stories in which images and actions alternate in an unexpected, sometimes almost mysterious way. The name Paradox Dreambox, Peter gall says, describes a “vibe” in which incisive timbres of sound can arouse various associations and worlds of emotion interpretable on many levels. With his suggestive, stylistically open music the well-versed drummer definitively establishes himself also as an accomplished composer and smart bandleader in contemporary jazz.