Release August 31, 2018
EAN/UPC: 705304466223
Traumton CD: 4664
Lineup
Michael Schiefel: vocals Marc Muellbauer: double bass Roland Neffe: vibraphone, marimba Christian Kögel: dobro-guitar
Recorded and mixed by Markus Mittermeier at Traumton Studios, Berlin
Mastered by Wolfgang Loos at Traumton Studios, Berlin
Info / Info english
Wood & Steel Trio feat. Michael Schiefel – Hollywood Songbook
„Ich schrieb damals […] wirklich ein ‚Hollywooder Liederbuch‘. Das heißt, ich schrieb fast jeden Tag zumindest ein Lied – manchmal auch mehr – entweder nach einem Text von Brecht oder nach Hölderlin […] oder andere Sachen, zum Beispiel nach Pascal. Und auf eine große Mappe schrieb ich drauf: ‚Hollywooder Liederbuch‘ oder ‚Hollywooder Tagebuch‘, daran erinnere ich mich nicht, und sagte: Das ist so mein Zeitvertreib; das ist, was ich neben der Arbeit mache.“
Hanns Eisler, 13. April 1958, aus: „Gespräche mit Hans Bunge – Fragen Sie mehr über Brecht.“
Der Zeitvertreib des großen deutschen Komponisten blieb tatsächlich auch nach Eislers Rückkehr aus den USA lange Zeit in der Schublade. Bis heute sind die Lieder, trotz ihrer frappierenden Qualität und Intensität, wenig bekannt und werden selten gespielt. Der klassische Pianist Eric Schneider hat sie 1998 mit dem Sänger Matthias Goerne in der Ästhetik des Kunstlieds auf ein Album gebracht. Eine Weile später beschäftigten sich Schneider und Michael Schiefel mit den Stücken, allerdings nur zum Privatvergnügen. Danach trug Schiefel das Repertoire lange im Hinterkopf mit sich herum. „Die Herausforderung war, dass Eisler die Musik so filigran und komplex wie einen Seiltanz angelegt hat. Man kann nicht damit herumspielen oder experimentieren, ohne sie zu beschädigen“, erklärt der Sänger. Die Lösung lautete schließlich: statt die Notation zu ändern, galt es eine andere Instrumentierung zu finden. „Ich schlug die Idee dem Wood & Steel Trio vor und sie waren begeistert, den Klavierteil zu übernehmen“, erinnert sich Schiefel. Noch in die Entwicklungsphase platzte das Angebot des Berliner Jazzfestivals, ihre Version des „Hollywood Songbook“ live zu präsentieren.
„Neben der Kraft der Texte faszinierte uns die Bandbreite der musikalischen Sprache und die kondensierte Substanz der einzelnen Lieder“, beschreibt Marc Muellbauer die Eindrücke, die Eislers Musik beim Wood & Steel Trio hinterließ. Mit Kontrabass, der stählernen, akustischen Dobro-Gitarre, einem metallisch-flirrenden Vibraphon oder einer hölzern, warm timbrierten Marimba orchestriert die Band die Lieder nun völlig neu, veränderte aber so gut wie keine Note des Originals. Grundsätzlich war ihnen diese Arbeitsweise nicht fremd. „Wir hatten schon früher an Arrangements von Klaviermusik gearbeitet, beispielsweise für unser Album Secret Ingredient ein Notturno von Grieg adaptiert“, sagt Muellbauer.
Die Aufteilung der Komposition auf die ungewöhnliche Instrumentenkombination erwies sich dennoch als anspruchsvolles Unterfangen. Viele Ideen, etwa parallel geführte Stimmen, wurden ausprobiert und verworfen. Darüber hinaus wollten die gestandenen Jazzer natürlich nicht ganz auf Improvisationen verzichten. „Die Lieder selbst ließen wir in ihrer kargen Lakonik unangetastet. Aber wir nahmen wenige Takte aus einzelnen Stücken und improvisierten daraus Zwischenspiele, denen wir komplett frei assoziierte Teile entgegensetzen“, erklärt Muellbauer und Schiefel ergänzt, „die neuen Einleitungen reflektieren auf unsere Art die Stimmungen der darauf folgenden Stücke.“
Es ist nicht überliefert, welche Spielweise Eisler für sein Hollywood Liederbuch im Kopf hatte. Zumal er selbst recht nonchalant mit Stilen jonglierte, sich eben nicht irgendwelchen Vorgaben unterwarf, die ihn bei seiner Auftragsarbeit als Filmkomponist quälten. „Ich habe mir vorgestellt, dass dieses eklektische Liederbuch für Eisler ein Weg zu einem innerem Ausgleich war“, sagt Michael Schiefel. Die Idee, sich selbst beim Komponieren keinen stilistischen Rahmen zu setzen, ist für den variablen Sänger natürlich zeitgemäßer denn je.
Michael Schiefel singt Eislers Liederzyklus auf seine individuelle, klangfarbenreiche Art, mit der er in den letzten Jahren nicht nur innerhalb der Jazz-Szene markante Akzente setzte. „Lieder wie Der Kirschdieb und Der Schatzgräber sind mit funktioneller Harmonik ziemlich eingängig angelegt“, skizziert Schiefel das Repertoire, „Vom Sprengen des Gartens könnte aus dem 19. Jahrhundert stammen, Schatzgräber mit seiner Poesie von Goethe sogar noch älter sein. Dagegen verweisen In den Weiden, Frühling und Der Sohn klar aufs 20. Jahrhundert. Ihre starken Tonsprünge sind zwar nicht richtig atonal, gehen aber manchmal in unerwartete Richtungen und sind sehr anspruchsvoll zu singen.“ Gleiches gilt für das kontrastreiche Nightmare, während An den kleinen Radioapparat seine melancholische Beunruhigung in eine trügerisch schöne Melodie kleidet.
Wenn man Eislers Exilmusik und Bertold Brechts auf der Flucht und in den Vereinigten Staaten verfassten Texte heute hört, kommt man kaum umhin, an Flüchtlingsdramen der Gegenwart zu denken. „Brechts Sprache ist von einer Haiku-artigen Knappheit, es gibt kein Wort zu viel“, konstatiert Marc Muellbauer, „gleichzeitig sind die Gedichte Momentaufnahmen, die in ihrer Intimität etwas Universelles haben. Sie beschreiben die kleinen Dinge, und lassen dadurch das Grauen, durch das sie entstanden sind, unerbittlich hervortreten. Diese 70 Jahre alten Lieder lesen sich angesichts der aktuellen Flüchtlingsschicksale noch einmal komplett und erschütternd neu.“
Der Tiefe und Komplexität von Eislers Hollywooder Liederbuch werden Michael Schiefel und das Wood & Steel Trio mehr als gerecht. Sensibel kreieren sie höchst nuancierte und intensive Interpretationen, transzendieren den Geist der Originale respektvoll in eigenwillige neue Variationen, die über den Tag hinaus Bestand haben. Vielleicht wird es eines fernen Tages keine Fluchten mehr geben müssen, doch selbst dann werden diese Lieder immer noch tief berühren. Besonders in dieser aller Voraussicht nach einmaligen Interpretation des charismatischen Sängers Michael Schiefel mit dem unvergleichlichen Wood & Steel Trio.
„Das war die entsetzliche Idylle dieser Landschaft […]. Brecht beklagte sich […]. Es wäre ihm alles zu lau und zu milde […] und diese ewige Blumenblüherei wäre überhaupt schon zum Kotzen. […] Und das führte eben auch zu diesem ganz knappen und konzisen Stil als Gegengift. ‚Da darf man sich auf keinen Fall gehen lassen, wenn die Luft so milde ist‘, meinte er.“ Hanns Eisler, 13. April 1958.
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Wood & Steel Trio feat. Michael Schiefel – Hollywood Songbook (english)
“I literally wrote a ‘Hollywood Songbook’ back then, meaning I wrote at least one song almost everyday – sometimes more. Either to a text by Brecht or to Hölderlin or other things like Pascal for example. And I wrote onto a big folder: ‘Hollywood Songbook’ or ‘Hollywood Diary’, I don’t remember, and I said: This is my pastime; this is what I do beside work.”
Hanns Eisler, April 13th 1958, from: “Gespräche mit Hans Bunge – Fragen Sie mehr über Brecht.”
This pastime of the great German composer did indeed stay in the drawer for a long time even after Eisler’s return from the U.S.A. Despite their striking quality and intensity, to this day the songs are little known and seldom played. The Classical pianist Eric Schneider recorded an album of them with the singer Matthias Goerne in 1998 in an art song aesthetic. A while later Schneider and Michael Schiefel devoted themselves to the pieces, only for private pleasure however. Thereafter, the repertoire was in the back of Schiefel’s mind for a long time. “The challenge was that Eisler had devised the music delicate and complex like a tightrope act. You can’t play around or experiment with it, without damaging it,” the singer explains. Eventually the solution was finding a new instrumentation instead of changing the notation. “I suggested the idea to the Wood & Steel Trio and they were enthusiastic about taking on the piano part,” Schiefel remembers. Shortly afterwards they got the offer of the Jazzfest Berlin to present their version of the Hollywood Songbook live.
“Besides the powerful lyrics, the wide range of the musical language and the condensed substance of the individual songs fascinated us,” Marc Muellbauer describes the impressions that Eisler’s music had on the Wood & Steel Trio. With double bass, the steely, acoustic Dobro guitar, a metallically shimmering vibraphone or the warm timbre of the wooden marimba, the band creates completely new orchestrations of the songs, but practically didn’t change any notes from the original.
It is not known which style of playing Eisler had in mind for his Hollywood Songbook. Especially considering that he himself quite blithely juggled with styles and deliberately did not submit to the standards that tormented him during his commissioned work as film composer. “I imagined that this eclectic songbook was a way to an inner balance for Eisler,” Schiefel says. The idea of not setting a stylistic frame while composing certainly seems more up to date than ever to the variable singer.
Michael Schiefel sings Eisler’s song cycle in his individual, multifarious manner, with which he has been attracting attention outside of the jazz-scene as well in the last few years.
“Songs like ‘Der Kirschdieb’ [The Cherry Thief] and ‘Der Schatzgräber’ [The Treasure Seeker] are composed with functional harmony and fairly easy to grasp,” Schiefel outlines the repertoire. “‘Vom Sprengen des Gartens’ [On The Sprinkling of Gardens] could be from the 19th century, ‘Schatzgräber’, with poetry by Goethe, may be even older. ‘In den Weiden’ [In the Pastures], ‘Frühling’ [Spring] and ‘Der Sohn’ [The Son] however clearly reference the 20th century. Their strong tonal leaps are not really atonal, but sometimes move into unexpected directions and are very challenging to sing.” The same goes for “Nightmare”, which is full of contrasts whereas “An den kleinen Radioapparat” veils its melancholic disquiet in a deceptively beautiful melody.
When listening to Eisler’s exile music today or to the texts Bertolt Brecht wrote when he was fleeing and in the U.S., one can’t help but think of present-day refugee dramas. “Brecht’s language has haiku-like conciseness; there is not a word to much,” Marc Muellbauer states, “At the same time the poems are snapshots that, due to their intimacy, have something universal. They describe the small things and thereby let the horrors they arose from become relentlessly apparent. In the light of current refugee situations, these 70-year-old songs once again read completely and shockingly differently.”
Michael Schiefel and the Wood & Steel Trio do more than justice to the depth and complexity of Eisler’s Hollywood Songbook. They sensitively create highly nuanced and intense interpretations and respectfully transcend the spirit of the originals in individual new variations that last longer than the moment. Maybe someday in the distant future there won’t have to be any more fleeing, but even then these songs will still be deeply touching.