Release September 26, 2014
EAN/UPC: 705304461020
Traumton CD: 4610
Lineup
Vera Mohrs: Gesang, Klavier Dominik Lamby: E-Bass Hartmut Ritgen: Schlagzeug
Music & lyrics: Vera Mohrs, Traumton Musikverlag
Recorded and mixed by Martin Offik, mastered by Wolfgang Loos
at Traumton Studios, Berlin, Spring 2014
Produced by Martin Offik and Vera Mohrs
Info / Info english
Veras Kabinett – Ungetüm
Nicht viele Singer/Songwriter verbinden persönliche deutsche Texte mit Musik, die über bekannte Folk- und Poprock-Horizonte hinaus schaut. Natürlich Konstantin Wecker, oder, auf musikalisch ganz andere Art, die Wienerin Eva Jantschitsch alias Gustav. Auch das Berliner Trio Veras Kabinett überquert Genregrenzen, bewahrt dabei aber wunderbare Leichtigkeit. Wer das neue Album Ungetüm hört, mag deswegen manchmal an französische Chansons denken. Die Sängerin und Pianistin Vera Mohrs hat ein feines Gespür dafür, nachdenkliche Texte mit Ohrwurm-Refrains und variablen Arrangements zu verbinden. „Ich finde es interessant, alle Facetten des Lebens anzunehmen und zu bejahen, auch wenn das eine Herausforderung ist“, erklärt die Komponistin und Autorin ihre Grundhaltung. Entsprechend zeigen Mohrs‘ poetische Lieder Courage und vermeiden Herz-Schmerz-Plattitüden. Ihre Tiefe kommt mit Humor oder einem Hauch Melancholie, auf jeden Fall subtil und atmosphärisch daher.
Vera Mohrs geht mit offenen Augen durch die Welt. Mal wirkt sie als Chronistin gesellschaftlicher Phänomene, mal sinniert sie über die Zerrissenheit zwischen Aufbruchsstimmung und Klammern am Bekannten. Auch wenn die lebensnahen Texte viel mit ihr selbst zu tun haben, sind sie gewitzt abstrahiert und selbst in der (selten benutzten) Ich-Form kein vertontes Tagebuch. Vera Mohrs schaut hinter Fassaden und beleuchtet Details. Sie entführt uns an nächtliche Tresen oder in die harte Realität der Legehennen-Industrie, bricht aus symbolischen Glashäusern aus oder fährt lustvoll Karussell. Entsprechend schwankt die Stimmung von Ermunterung über Zweifel zu Überschwang. Unverhohlen demaskiert Mohrs Illusionen, beschreibt hintergründig den eigenen künstlerischen Antrieb oder zartbittere Einsichten in die Vergänglichkeit.
„Ich möchte auf keinen Fall, dass man sich nach einem Lied mit der Moralkeule vermöbelt fühlt“, hält Vera Mohrs fest. Lieber nutzt sie schöne Melodien, lockend-klaren Gesang oder freundliche Harmonien, um auf ein „schweres“ Thema aufmerksam zu machen. Musikalische Kontraste sind ihr wichtig. „Wenn ich schon sperrige Dinge beschreibe, muss ich sie nicht unbedingt extrem singen.“ Geschickt setzt Mohrs Pop-verwandte Motive und Jazz-Phrasierungen ein, kombiniert eingängige Refrains und prägnantes Streichquartett, flirtet mit druckvollen Beats und Lautmalereien. Zarte Flöte, dezentes Saxophon, Blechbläser oder ein raues Cello-Solo erweitern das Klangspektrum, manchmal bis zum Breitwandformat. Im Zentrum steht stets der von Mohrs variabel und ausdrucksvoll gespielte Flügel. Mit ihm schlägt sie Brücken zu ihren unterschiedlichen Inspirationsquellen. Früher, sagt sie, hat sie „viel mehr Kunstlied von Schubert und anderen Romantikern gehört.“ Ihre Heldinnen des zeitgenössischen Pop sind Kate Bush, Fiona Apple und (auch ohne Flügel) Björk.
In Köln wurde Vera Mohrs 1984 geboren, ihre Schulzeit verbrachte sie überwiegend in Mainz. Musik war in der Familie ständig präsent, denn ihr Vater spielte Cello in einem Barockensemble. Vera lernte zunächst Klavier, später auch eine Weile lang Cello. Nach dem Abitur studierte sie in Hannover Komposition mit Schwerpunkt Jazz-Rock-Pop unter anderem bei Julia Hülsmann. Schon vorher schrieb Mohrs erste eigene Stücke; an der Hochschule fand sich etwa 2007 das Kerntrio von Veras Kabinett zusammen. Bis heute sorgen E-Bassist Dominik Lamby und Schlagzeuger Hartmut Ritgen für mal sensiblen, mal dynamischen Rhythmus, latenten Groove oder kraftvolle Akzente.
Vor zweieinhalb Jahren zog Vera Mohrs nach Berlin. „Ich mochte Hannover, weil die Uni schön ist und die Stadt in gewisser Weise neutral“, erklärt Mohrs. „Aber die Möglichkeiten für Musik, wie wir sie machen, sind in Hannover relativ beschränkt. Vor allem, wenn du acht Jahre überall gespielt hast.“ Mit dem Ortswechsel kam eine weitere Veränderung. Inzwischen nimmt sich Vera Mohrs mehr Zeit für die Entwicklung ihrer Songs. „Wenn man etwas ausspricht, schließen die gewählten Formulierungen andere Gedanken aus“, findet sie, „daher versuche ich, das textliche Korsett nicht zu eng werden zu lassen.“ Früher hat diese Methode bisweilen zu besonders versponnenen Zeilen geführt, die sich erst nach dem dritten Hören erschlossen. „Heute möchte ich schon, dass man die Chance hat, gleich zu verstehen, was ich meine.“ Dabei sind Poesie und Musik eng miteinander verzahnt, schon in der Entstehungsphase. „Ich kann den Song musikalisch nur fertigstellen, wenn ich weiß, wohin der Text will“, sagt Mohrs, „umgekehrt setzte ich mich manchmal ans Klavier, wenn ich beim Schreiben nicht mehr weiterkomme, weil die Musik dem Text auf die Sprünge helfen kann.“
Dass die Lieder des abwechslungsreichen Albums Ungetüm verschiedene Atmosphären vermitteln, entspricht Vera Mohrs‘ Naturell. „Ich mag es, ein ruhiges Konzert zu geben, bei dem alle genau zuhören, finde es aber ebenso schön, auf der Bühne auch mal lauter und wilder zu werden.“ Nicht zuletzt diese lauernde Energie, gepaart mit individuellem Gestaltungswillen, macht den besonderen Charakter von Veras Kabinett aus.